Karlsruhe kassiert Kernbrennstoffsteuer
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes können Konzerne mehrere Milliarden Euro Steuern zurückfordern
Die Bundesregierung hat den Streit um die Rechtmäßigkeit der Brennelementesteuer verloren. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärte die Steuer in einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil für unvereinbar mit dem Grundgesetz und das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Kernbrennstoffsteuergesetz rückwirkend für nichtig. Dem Bund habe die Kompetenz gefehlt, dieses Gesetz zu erlassen, hieß es zur Begründung. Die Brennelementesteuer sei rechtlich keine Verbrauchssteuer, der Bund habe sie deshalb nicht erheben können (2 BvL 6/13). Zwei Richter vertraten in einem Minderheitsvotum allerdings die Ansicht, dass die Steuer mit Zustimmung des Bundesrats möglich gewesen wäre. Da dort aber nie darüber diskutiert und abgestimmt wurde, halten auch sie das Gesetz für verfassungswidrig.
Die Energiekonzerne E.on, RWE und Energie Baden-Württemberg (EnBW) hatten gegen das Gesetz geklagt. Mehr als sechs Milliarden Euro, die von den AKW-Betreibern seither an den Staat entrichtet wurden, müssen nun höchstwahrscheinlich an die Konzerne zurückgezahlt werden.
Der Bundestag hatte die Steuer im Dezember 2010 mit seiner damaligen schwarz-gelben Mehrheit beschlossen. Sie sollte die gleichzeitig beschlossenen Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke gesellschaftlich akzeptabler machen. Das Finanzministerium setzte die Steuer auf 145 Euro für jedes Gramm eines frisch in einen Atomreaktor eingesetzten Brennelementes fest. Die Steuer wurde bis Ende 2016 erhoben, einer Verlängerung verweigerte sich die Große Koalition. Einen von Bündnis90/Die Grünen unterstützten Antrag der LINKEN, die Steuer beizubehalten, lehnte der Bundestag am 10. November 2016 in namentlicher Abstimmung mit 472 Nein-Stimmen gegen 109 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen ab.
Für E.on summierten sich die Zahlungen nach Auskunft eines Sprechers über die sechs Jahre auf rund 2,85 Milliarden Euro. RWE hat nach eigenen Angaben etwa 1,7 Milliarden Euro bezahlt. Bei EnbW - das Unternehmen befindet sich weitgehend im Besitz des grün-schwarz regierten Bundeslandes Baden-Württemberg - waren es 1,44 Milliarden Euro. Der schwedische Konzern Vattenfall hat seit der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 in Deutschland keine Atomkraftwerke mehr am Netz und dementsprechend auch keine Kernbrennstoffsteuer entrichtet.
Die Betreiber hatten die Steuer vor verschiedenen Finanzgerichten angefochten. Dabei gab es unterschiedliche Entscheidungen: Das Finanzgericht Baden-Württemberg in Stuttgart urteilte in zwei im Januar 2012 veröffentlichten Beschlüssen, die vom Bund erhobene Steuer sei verfassungsgemäß und EU-rechtskonform.
Beim Finanzgericht Hamburg hatten die Richter dagegen grundsätzliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Nach der Klage von E.on setzten sie deshalb 2013 das Verfahren aus und legten die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. In der Zwischenzeit mussten die Konzerne nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs die Steuer weiter zahlen. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mussten die Unternehmen im Juni 2015 eine Schlappe hinnehmen. Die Richter in Luxemburg entschieden, dass die Steuer nicht gegen EU-Recht verstößt.
Laut dem Karlsruher Beschluss sind Verbrauchssteuern »auf eine Abwälzung auf den Endverbraucher angelegt« und sollen dessen »steuerliche Leistungsfähigkeit abschöpfen«. Die Voraussetzung erfülle die Brennstoffsteuer nicht. E.on teilte mit, man gehe von einer Erstattung der Steuerzahlung in Höhe von rund 2,85 Milliarden Euro zuzüglich Zinsen von rund 450 Millionen Euro aus. Die Rückzahlung werde sich positiv auf die Bilanz auswirken, die seit 2011 von der Kernbrennstoffsteuer »erheblich belastet« gewesen sei.
RWE äußerte sich zurückhaltender. Man werde den Urteilsspruch prüfen, hieß es. Von EnBW gab es bis zum Nachmittag keine Stellungnahme. Die Aktien von E.on und RWE reagierten gestern mit kräftigen Kurssteigerungen auf die Entscheidung des Gerichts. Beide notierten am Vormittag mehr als vier Prozent im Plus.
Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtes rächt sich das defensive Verhandeln der Bundesregierung mit den Konzernen über die Kosten der Atommüllentsorgung. Die Große Koalition hatte den Atomstrom- und -müllproduzenten gestattet, sich mit einer Einmalzahlung in Höhe von rund 24 Milliarden Euro von der Haftung für die Lagerung der radioaktiven Abfälle loszukaufen. Auch die Grünen stimmten dem Deal zu.
Von diesen 24 Milliarden Euro, die von den Unternehmen in einen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsfonds eingezahlt werden sollen, wandern sechs Milliarden oder mehr also wieder zurück. Gleichzeitig verlangte die Regierung von den AKW-Betreibern nicht mehr, alle anhängigen Klagen zurückzunehmen. Außer gegen die Brennelementesteuer gab es Schadenersatzklagen gegen die infolge der Fukushima-Katastrophe verfügte vorzeitige Abschaltung von Reaktoren. Die nahmen die Betreiber zurück, die Brennelementesteuer wollten sie jedoch gerichtlich klären lassen.
Für Staat und Steuerzahler kann es noch dicker kommen. Denn auch die 4,5 Milliarden schwere Schadensersatzklage, die Vattenfall vor einem Schiedsgericht in Washington erhoben hat, wurde nicht zurückgenommen und ist noch nicht entschieden.
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