Schulz will das Niveau halten
SPD-Spitzenkandidat präsentiert Rentenkonzept für die Bundestagswahl
Wahlwerbung mit Ministerin - auf diese griffige Formel lässt sich jene Pressekonferenz bringen, die am Mittwoch im Willy-Brandt-Haus stattfand. SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz präsentierte dort an der Seite von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles das Rentenkonzept, mit dem die Sozialdemokraten in den Wahlkampf ziehen wollen. »Kernversprechen« einer solidarischen Gemeinschaft sei die »verlässliche Rente«, betonte Schulz, der angesichts sinkender Umfragewerte sozialpolitische Akzente setzen muss. Um dieses »Kernversprechen« zu halten, will die SPD gleich an mehreren Stellschrauben drehen. So solle eine Solidarrente sicherstellen, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, »nicht im Alter in Armut leben müssen«, erklärte Schulz. Dass Altersarmut aber auch jene betrifft, die lange arbeitslos waren, ließ der SPD-Chef unerwähnt. Diese Menschen gehören offenbar nicht zur Zielgruppe von Schulz, der sich nach eigener Aussage für »die hart arbeitenden Menschen« kämpft.
Der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Matthias W. Birkwald, rechnete am Mittwoch vor, dass die Pläne keinesfalls vor Altersarmut schützen: »Wenn die SPD die Grundsicherung im Alter nur für diejenigen um zehn Prozent anheben will, die 35 Jahre lang hart gearbeitet haben, heißt das konkret, dass einer Rentnerin in Thüringen gerade einmal 761,20 Euro Rente im Monat zustehen würden und einer Hamburgerin 963,60 Euro.«
Zweiter wichtiger Punkt auf der neuen Rentenagenda der SPD sind Haltelinien bei Rentenniveau und Beiträgen. Damit folgt die Partei einer Idee von Andrea Nahles, die seit Längerem für ihre Idee einer »doppelten Haltelinie« wirbt. Demnach sollte das Rentenniveau bis 2045 nicht unter 46 Prozent sinken. Gleichzeitig dürfte der Beitragssatz in diesem Zeitraum nicht über 25 Prozent steigen, so Nahles im November 2016. Im Wahlkampf legt die Partei aber noch einen drauf und will das Rentenniveau nun gar bei 48 Prozent halten. »Wir wollen nicht, dass es weiter absinkt, und werden dafür sorgen, dass es auf der jetzigen Höhe bleibt«, heißt es in der entsprechenden Erklärung der SPD. Den Beitragssatz will man nun gar bei 22 Prozent fixieren. Zum Vergleich: Derzeit liegt der Satz bei 18,7 Prozent.
Ministerin Nahles erklärte am Mittwoch, man müsse gleich nach der Wahl die »gesetzliche Haltelinie verschieben«, sonst sinke das Rentenniveau automatisch von 48 auf 46 Prozent. Keiner weiß das besser als eine Vertreterin jener Partei, die die gesetzlichen Grundlagen für das Absinken des Rentenniveaus einst auf den Weg gebracht hatte. Das Altersvermögensergänzungsgesetz aus dem Jahre 2001 und das RV-Nachhaltigkeitsgesetz aus dem Jahre 2004 hatten zum Ziel, das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente runterzufahren. Treibende Kraft hinter beiden Gesetzen: die SPD.
Offenbar gelten alle Argumente, mit denen man damals die unbeliebten Reformen durchdrückte, nicht mehr. Der demografische Wandel und die sinkenden Beschäftigtenzahlen, die einst als Begründung für Rentenkürzungen herhalten mussten, sind vergessen. Die SPD korrigiert sich selbst und erntet dafür heftige Kritik vom Koalitionspartner. Der Beauftragte für den demografischen Wandel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Frieser, schimpfte: »Wer die demografischen Notwendigkeiten negiert, verweigert sich der Realität.«
Dabei verweigern sich die Genossen nicht der Realität, sondern stellen unter Beweis, dass sie aus Fehlern lernen, wie ein weiterer Punkt auf der Rentenagenda zeigt. Der Chef der Partei, die einst die Rente mit 67 auf den Weg brachte, verspricht nun voller Inbrunst: »Mit uns wird es keine Erhöhung des Renteneintrittsalters geben!« Schulz verwies am Mittwoch auf die Pläne von Unionspolitikern, das Eintrittsalter auf 70 zu erhöhen. Auf der SPD-Webseite wird das Versprechen mit einem Zitat des CDU-Finanzpolitikers Jens Spahn flankiert, in dem der Staatssekretär klarstellt, »dass nach 2030 das Renteneintrittsalter weiter steigen muss«. Die Union lieferte hier eine Steilvorlage, die die SPD dankend aufnimmt.
Das Feedback zum Rentenkonzept war gemischt: IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagte, das SPD-Konzept enthalte »wichtige Korrekturen«, gehe aber nicht weit genug. Der LINKEN-Rentenexperte Birkwald nannte es »enttäuschend und mutlos«. Die Versicherungswirtschaft, die wohl Angst um ihre privaten Vorsorgeprodukte hat, sprach von einer »Mogelpackung«. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, Steffen Kampeter, nannte die Pläne »kurzsichtig, da die Finanzierung ab 2030 völlig unklar ist«. Dabei kann Kampeter ganz beruhigt sein: Nach derzeitigem Stand müsste die SPD, wenn sie auch nach der Wahl an der Regierung bleiben möchte, wieder mit der CDU koalieren.
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