Die Stärksten kämpfen ein Leben lang
Zum Tode des Wissenschaftlers und kritischen Kommunisten Theodor Bergmann
Je älter er wurde, desto unwahrscheinlicher schien es, dass ihn je der Tod ereilen könnte. Noch lange nach seinem 100. Geburtstag war Theodor Bergmann, Agrarwissenschaftler und später Historiker der Arbeiterbewegung, unermüdlich als Vortragsreisender unterwegs, verfasste ein Buch nach dem anderen. Er sprühte vor Vitalität, Kreativität und Gedankenreichtum. Vor Kurzem erschien von ihm noch die Studie »Der chinesische Weg. Versuch, eine ferne Entwicklung zu verstehen«. Es sollte sein letztes Werk sein: Am Abend des 12. Juni ist Theodor Bergmann in seiner Wahlheimat Stuttgart im 102. Lebensjahr gestorben. Mit seinem Tod bricht die personelle Verbindung zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik ab, deren letzter Akteur und Zeitzeuge er war.
Geboren am 7. März 1916 in Berlin in der vielköpfigen Familie eines Rabbiners, stieß er 1929 zur kommunistischen Bewegung. Er schloss sich der Stalin-kritischen KPD-Opposition (KPO) um Heinrich Brandler und August Thalheimer an. Dieser politischen Entscheidung ist er ein sehr langes Leben lang treu geblieben. Er suchte und stritt für eine Welt, in der Freiheit und soziale Gerechtigkeit sich verbinden. Dies war für ihn Sozialismus - das Einfache, das so unendlich schwer zu machen ist, wie er wusste.
1933 musste der Siebzehnjährige ins Exil fliehen - Palästina, die Tschechoslowakei und Schweden waren die Stationen seiner Odyssee. Das Leben war hart und oft gefahrvoll, zweimal entkam Theodor Bergmann den Nazihäschern nur knapp. 1946 kehrte er nach Westdeutschland zurück. Das stalinistische Ostdeutschland war für ihn keine Alternative. Politisch fand Theo Bergmann in der Gruppe »Arbeiterpolitik« Halt, privat bei seiner Genossin Gretel Steinhilber, die ebenfalls aus der KPO kam. In seiner Autobiografie »Im Jahrhundert der Katastrophen«, die zu seinem 100. Geburtstag überarbeitet neu herauskam (VSA-Verlag, 22,80 €), beschrieb er in knappen Worten seinen steinigen Weg vom Landarbeiter und Hebräischlehrer bis zum Fachgebietsleiter für International vergleichende Agrarpolitik an der Universität Stuttgart-Hohenheim - und wie viele, nazistisch belastete »Kollegen« ihm die spät erreichte akademische Laufbahn zu verbauen suchten. Erst 1973 erhielt der Kommunist in der Bundesrepublik eine Professur. Mit immenser Arbeitsenergie, strikter Disziplin und einem unverwüstlichen Optimismus, den er sich bis zuletzt bewahrte, hatte sich Theo Bergmann durchgesetzt. Uneigennützig half er unter politischen Repressalien leidenden Studenten, auch dann, wenn er mit ihren Ansichten nicht übereinstimmte. Winfried Kretschmann, der heutige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Jörg Hoffmann, heute Vorsitzender der IG Metall, haben vor allem ihm ihren Verbleib an der Universität Stuttgart-Hohenheim zu verdanken, als andere Professoren die damals ultralinken Studenten exmatrikulieren wollten. Sie dankten es ihm weniger als seine treuen Schüler wie Helmut Arnold, Joachim Herbold und Karl Burgmaier, die ihm bis zuletzt zur Seite standen.
Über sechzig Bücher sowie Hunderte Aufsätze, die auf allen fünf Kontinenten erschienen, zeugen von seiner schier unglaublichen Schaffenskraft. Sein beeindruckendes Wissen teilte er unaufdringlich, nie schulmeisterlich mit. Er war ein wahrer sozialistischer Weltbürger: Theo Bergmann schrieb und dolmetschte in fünf Sprachen, las ein halbes Dutzend weitere. Auf eigene Kosten reiste er siebzehn Mal nach China. Noch öfter bereiste er Israel, mehrmals Indien, Pakistan und viele weitere Länder - um »Entwicklungen zu verstehen«.
Theodor Bergmanns Arbeitsgebiete in Forschung und Lehre waren vor allem landwirtschaftliche Entwicklungsmodelle und das Genossenschaftswesen in verschiedenen Ländern. Studenten und Doktoranden berichten noch heute voller Zuneigung und Bewunderung von seiner Hilfsbereitschaft, seinem großen Fachwissen und seiner enormen humanistischen Bildung, um die er wenig Worte machte, aber auch von seinen hohen Anforderungen, die er stellte - die höchsten an sich selbst.
Immer mehr wurde die Geschichte und Politik der Arbeiterbewegung zu seinem Hauptthema, vor allem als Professor im (Un-)Ruhestand. Seine Geschichte der KPO, »Gegen den Strom«, gilt als ein Standardwerk. Doch auch zur Geschichte der Komintern, zum Spanienkrieg, zum israelisch-arabischen Konflikt lieferte er quellengestützte Werke. Er war mit seinem Kollegen und Freund Gert Schäfer Initiator einer Reihe internationaler Konferenzen zur Geschichte und zu aktuellen Problemen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sowie von Tagungen über Karl Marx und August Thalheimer, Rosa Luxemburg, Trotzki, Bucharin, Lenin und Friedrich Engels.
Theodor Bergmann verstand sich als kritischer Kommunist, und so nimmt es nicht Wunder, dass die SED seine Bücher zur Konterbande erklärte. Dennoch war es für ihn selbstverständlich, den ab 1990 »abgewickelten« DDR-Wissenschaftlern zur Seite zu stehen, selbst wenn sie ihn zuvor einen »Revisionisten« und »Renegaten« geschimpft hatten. Er trat der PDS bei, leitete zeitweise deren Landesverband Baden-Württemberg und war bis zum Lebensende in der politischen Bildungsarbeit aktiv.
Theodor Bergmann hielt es mit Bertolt Brecht: »Die Schwachen kämpfen nicht. Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang. Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich.« Theo hielt sich nie für unentbehrlich. Und doch war er es. Er wird uns fehlen.
Ausführlichere Porträts zu Theodor Bergmann finden sich in Mario Keßler: »Theodor Bergmann. Die Tradition kritischer Solidarität von Luxemburg bis Gorbatschow« (Helle Panke, 3,00 €) und Karlen Vesper: »Die Puppennäherin von Ravensbrück« (Neues Leben, 17,99 €).
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