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- Ironie und Kritik
Wo der Nacktmull welkt
Lieber schreiben als Fresse polieren oder Zungenküsse verteilen: Gesammelte Texte von Rebecca Spilker
Die sogenannte moderne Welt ist nicht so, wie sie sein soll. Andauernd macht sie Probleme. Sie belästigt einen: indem sie uns Reklame aufnötigt, indem sie uns allerlei Geschmacklosigkeiten unterbreitet, indem sie fortgesetzt unsere Augen und unser Denken beleidigt. Und sie ist – auch das noch! – voller Personen, die ungute Dinge tun (Birkenstocksandalen tragen, Gentrifizierung, Krieg) und mit falscher Zunge sprechen. Viele Menschen nehmen das hin. Die Hamburgerin Rebecca Spilker tut das nicht. Sie setzt sich zur Wehr, indem sie der schlechten Welt gute Texte entgegenschleudert.
Anders gesagt: Sie hat sich, wie sie im Vorwort zu ihrem soeben erschienenen ersten Buch mitteilt, »vor einigen Jahren dazu entschlossen, die Dinge, die mich ›bewegen‹, aufzuschreiben, anstatt Fressen zu polieren oder ungefragt Zungenküsse zu verteilen«.
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Anfangs meldete sie sich, bescheiden, wie sie offenbar ist, nur im Internet mit vereinzelten Beiträgen zu Wort, bevorzugt auf der Social-Media-Plattform Facebook, wo sie diverse Missstände thematisierte. So zum Beispiel das Problem, das Geschlechtergerechtigkeit ausgerechnet dort ausbleibt, wo sie mitunter am dringendsten geboten wäre, nämlich im Bereich Körperpflege: Spilker musste eines Tages feststellen, dass das Internet nämlich ihr, der FRAU, »ungefragt Kaufvorschläge für straffende, entknitternde Intim-Salben« machte, während beim MANN allem Anschein nach solche Produktempfehlungen ausblieben. Natürlich stimmt einen das nachdenklich und zieht verschiedene Fragen nach sich: »Gibt es Produkte ähnlicher Art eigentlich auch für Männer? Ich könnte mir zum Beispiel ein straffendes Penis-Gel für den Herrn ab 40 vorstellen. Auch mal an den welkenden Nacktmull in den Boxerhorts denken. Hodenserum. Gibt es das schon? Namensvorschlag: ›Samtbällchen‹. Adstringierende Lotionen für die ausgelullerte Vorhaut? Könnte das ein Future-Beauty-Thema sein?«
Heute sind Spilkers mit Hamburger Lokalkolorit versehene komische Alltagsgeschichten und ihre anderen verbalen Interventionen, die von freundlicher Ideologiekritik bis zu nonkonformer Beauty- und Modeberatung reichen, nicht mehr ausschließlich im Internet zu finden. Sie ist mittlerweile auch für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig, etwa für »Taz« und »Musikexpress«. Ihr Themenspektrum ist nicht gerade eng und reicht von subtiler Patriarchatskritik über Fragen der Ästhetik und des Stils bis zu TV-Serien-Rezensionen und Produktinformationen aus dem Bereich Popmusik.
Daneben nimmt sie es »mit jedem, aber auch wirklich jedem auf, der ihrer Meinung nach Quatsch redet« (Danielle de Picciotto). Wenn sie nicht gerade – was häufig genug der Fall ist – sich selbst zum Objekt ihres Spottes macht. Aus den Ergebnissen ihrer Selbstversuche zur Frage, welche Auswirkungen enthemmtes nächtliches Feiern ab einem bestimmten Lebensalter hat, macht Spilker keinen Hehl: »Die massiven Schwellungen, die neuerdings nach durchgemachten Nächten mein Gesicht aufschwemmen, wollt ihr nicht sehen. Stichwort: Elefantenmensch.«
Ihre literarischen Vorbilder sind teils zu erahnen. Wenigstens bilde ich mir ein, das eine oder andere erraten zu können. So glaubt man hie und da beim Lesen, den ebenso ausgefeilten wie koketten Plauderton Max Goldts oder die trockene Komik der Satirikerinnen Fanny Müller und Ella Carina Werner wiederzuerkennen. Oder die feine und schonungslose Selbstironie, die man aus den autobiografischen Glossen der US-amerikanischen Autorin und Filmregisseurin Nora Ephron (»Der Hals lügt nie«) kennt. Was jedoch ganz und gar keine schlechte Sache ist. Im Gegenteil: Journalistisch-literarische Techniken wie Ironie und Persiflage, mit welchen Spilker arbeitet, beherrschen ja die wenigsten. Da ist man um jede Autorin froh, die ein Händchen für sublime Pointen und Detailgenauigkeit in der Sprache hat.
Und wie bereits angedeutet: Rebecca Spilker kennt sich mit vielem sehr gut aus. So macht sie etwa konstruktive Vorschläge zur Optimierung der weiblichen Anatomie: »Die Gebilde aus Drüsengewebe und Fett hängen vorne dran. Das macht was mit einem. Hingen sie am Rücken, wie ein Rucksack, hätte man vorne mehr Bewegungsfreiheit.« Oder sie erklärt, dass unerschütterliche Seelenruhe die Grundvoraussetzung darstellt, wenn man als Kunde der Deutschen Bahn bei Verstand bleiben will: »Kühl und wortlos sitzen wir uns gegenüber, bereit, auch weiterhin keine Informationen zu erhalten. Einfach stoisch aushalten, Schicksal Deutsche Bahn – wir wehren uns nicht mehr.«
Doch auch Privates spart sie nicht aus: »Zu lange hatte ich das dunkle Geheimnis meiner Käseabhängigkeit schon mit mir herumgetragen.« Demnächst soll angeblich auch ein Roman von ihr erscheinen, aber alle Informationen darüber werden gegenwärtig noch geheim gehalten.
Rebecca Spilker: Mega! Ventil-Verlag, 175 S., br., 18 €.
Lesungen: 3.4. Berlin, 19 Uhr, Posh Teckel; 10.4. Hamburg, 20 Uhr, Nochtspeicher; 30.5. Hamburg, Centralkomitee, 20 Uhr
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