Vegane Boulette bleibt Boulette
In Niedersachsens Landtag ging es um die fleischlose Wurst und ihren Namen
Ist eine vegetarische Boulette eine Boulette oder nicht? Verliert sie ihren Bouletten-Status, wenn ihre ureigenste Seele, das Hackfleisch, durch Tofu ersetzt wird? Wird der Verbraucher schnöde getäuscht, wenn ihm in einer Schachtel mit der Aufschrift »Vegane Frikadelle« etwas angeboten wird, das nach Frikadelle schmeckt und aussieht, aber ohne Mett nach konservativer Meinung nicht korrekt frikadellig ist?
Probleme tun sich hier auf, und offensichtlich sehr ernst zu nehmende. Immerhin wurden sie am Mittwoch in der Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtages gewälzt, angestoßen von der oppositionellen CDU. Sie offenbarte sich als Erlöserin jener Hausfrauen und -männer, die beim Einkauf trotz des Etikettvermerks »vegan« vor der Frage stehen »Klops oder nicht Klops?« - und somit in Gewissenskonflikte gestürzt werden. Dann nämlich, wenn auf dem heimischen Speisezettel die fleischlose Ernährung präferiert wird. Und so beantragte denn die Union, Parlament und Landesregierung mögen sich doch bitte bei der Europäischen Union und auch beim Bund für eine »bessere Kennzeichnung von Fleischimitaten« einsetzen.
Ein Produkt so einfach als vegetarisches oder veganes Schnitzel anzupreisen, das reiche nicht aus, um dem Verbraucher zu signalisieren: Fleisch ist da nicht drin! Meint die CDU. Sobald den besagten, auf fleischlose Kost hindeutenden Adjektiven solche Worte wie »Frikadellen« oder »Wurst« folgen, erwarte der Kunde »Produkte aus tierischem Eiweiß«. Das sei irreführend, also müsse eine deutlichere Bezeichnung her.
Aber welche? Alternativen nannte die CDU nicht. Ihr Agrarexperte Frank Oesterhelweg gab dem Plenum stattdessen Nachhilfeunterricht in Warenkunde: »Einen Veggie-Geflügelsalat kann es naturwissenschaftlich nicht geben und auch keine vegetarische Hähnchenbrust.« Solche Bezeichnungen könnten Kunden sehr wohl verstehen, konterte Ronald Schminke, SPD-Sprecher für Verbraucherschutz, namens des rot-grünen Regierungslagers. So verwirrt seien Käufer nicht, dass sie nicht wüssten, was eine Veggie-Leberwurst ist: Wenn man die Forderungen der CDU konsequent umsetze, so der Sozialdemokrat, müsse man fortan auch das schweinerne Eisbein nicht mehr so nennen, weil es nicht aus Speiseeis besteht.
Nicht ganz frei von Alberei war die Diskussion. Kostprobe: »Wir wissen schon, dass im Bauernomelett kein Bauer steckt.« Und locker schien die Frikadellendebatte auch auszuklingen. Aber dann hämte Miriam Staudte (Grüne), ob denn die Christdemokraten eine vegane Bratwurst künftig »längliches Soja-Bratstück auf pflanzlicher Basis« nennen wollten. Das klänge nicht appetitlich, da würde keiner gern reinbeißen, aber womöglich sei das ja die Intention der CDU, betreibe sie doch »Fleischprotektionismus«, mutmaßte die Abgeordnete.
Jegliches Schmunzeln verstarb ob solchen Vorwurfs in den Reihen der Union. Und Protest brandete dort auf, als die Grünen-Politikerin nachsetzte: Die Verbraucher seien schlauer, als die CDU denke, und sie wüssten auch, dass diese Partei trotz des C im Namen keine christliche Politik leiste. Laut, tumultartig quittierte die Unionsfraktion jenen Tort. So laut, dass die stellvertretende Landtagspräsidentin die Sitzung unterbrechen musste. Aber am Ende war der CDU-Antrag auf »bessere Kennzeichnung« gegessen; er fand keine Mehrheit. Und so darf die vegane Boulette trotz aller Fleischlosigkeit ihren Boulettenstatus behalten.
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