EuGH: Systematische Grenzkontrollen sind unzulässig
Der Europäische Gerichtshof erklärt, dass Grenzbeamte nicht ohne konkreten Anlass kontrollieren dürfen
Luxemburg. Verdachtsunabhängige Kontrollen der Bundespolizei in Grenznähe, an Bahnhöfen und in Zügen dürfen nicht zu systematischen Grenzkontrollen ausarten. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil am Mittwoch in Luxemburg klargestellt. Der EuGH hat entschieden, dass solche anlasslosen Kontrollen nur dann zulässig sind, wenn ein gesetzlicher Rahmen verhindert, dass diese Kontrollen in der Praxis die gleiche Wirkung haben wie die früheren stationären Grenzkontrollen. Diese waren mit dem Schengenabkommen abgeschafft worden.
Hintergrund ist ein Strafverfahren vor dem Amtsgericht Kehl wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Der Angeklagte ging vom französischen Straßburg kommend zu Fuß zum baden-württembergischen Bahnhof Kehl und wehrte sich gegen eine Kontrolle der Bundespolizei. Wäre die Kontrolle unzulässig gewesen, könnte er nun nicht wegen Widerstands verurteilt werden.
Der Bahnhof ist nur wenige hundert Meter von der französischen Grenze entfernt. Zwischen Kehl und Straßburg kontrollieren insbesondere die französische Beamte seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 regelmäßig vor allem Autofahrer. Auch Deutschland hatte Grenzkontrollen vorübergehend wiedereingeführt. Das Bundespolizeigesetz erlaubt dort verdachtsunabhängige Kontrollen. Das Amtsgericht wollte nun von den Luxemburger Richtern wissen, ob das mit EU-Recht vereinbar ist und damit die Polizeikontrolle des Mannes rechtmäßig war.
Das Urteil findet darauf die Antwort: Die Bundespolizei darf an den Grenzen zu EU-Nachbarstaaten in einem Umkreis von 30 Kilometern Menschen ohne konkreten Anlass nur mit Einschränkungen kontrollieren. Zumindest in anderen Vorschriften muss sichergestellt sein, dass die Überprüfungen keinen systematischen Charakter haben. Geregelt werden müsse insbesondere die Intensität, Häufigkeit und Selektivität der Kontrollen.
Fehlten solche Einschränkungen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass nur selektive Stichprobenkontrollen stattfinden. Genau das aber verlange das EU-Recht. Ob es in Deutschland solche Regelungen gibt, muss nun das Amtsgericht Kehl feststellen. Die Bundesregierung hatte vor dem Gerichtshof darauf verwiesen, dass solche Kontrollen laut einer anderen Vorschrift im Bundespolizeigesetz »verhältnismäßig« sein müssten.
Zudem werde in der Verwaltungsvorschrift »Bestimmungen zur grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung (Bras 120)« bestimmt, dass bei solchen Kontrollen »niemand aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung (...) diskriminiert« werden dürfe. Diese Vorschrift regle darüber hinaus, dass bei Kontrollen die EU-Vorgaben des »Leitfadens für Grenzschutzbeamte« aus dem sogenannten Schengen-Handbuch eingehalten werden müssten.
Ob all dies ausreicht, muss nun das Amtsgericht Kehl nach Maßgabe der Luxemburger Richter prüfen. Erst dann kann es entscheiden, ob sich der kontrollierte Grenzgänger wegen Widerstands gegen die Beamten strafbar machte.
Bei der Innenministerkonferenz Mitte Juni wurde eine bundesweite Ausweitung dieser sogenannten Schleierfahndung auf das Umfeld von Flughäfen, Bahnhöfen und Rastplätzen diskutiert. Die Länder konnten sich aber nicht auf eine bundesweite Regelung einigen. Agenturen/nd
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