Protestcampen geht alle an

Es geht nicht nur um die Freiheit von ein paar Linken, im Stadtpark zu zelten. Es geht um die grundrechtliche DNA dieser Gesellschaft. Ein Kommentar

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Man könnte es für das übliche versammlungsrechtliche Vorgeplänkel vor größeren Protesten halten. Doch das Gezerre über die Protestcamps der G20-Kritiker in Hamburg ist nicht nur etwas, wofür sich Juristen, Berufsaktivisten und die Polizei interessieren sollten. Es geht vor dem Gipfel der selbst ernannten Mächtigen in Hamburg um eine Kernfrage demokratischer Kultur, um etwas, das die verfassungspolitische DNA dieser Gesellschaft ausmacht: nicht nur eine Meinung zu haben, sondern dieser auch einen Ausdruck verleihen zu können, gemeinsam und in einer Weise, in der es denen wehtut, die anderer Auffassung sind.

Die Hamburger Behörden wollen die vielen Tausenden, die sich zu Protesten gegen die Dauerkrisenpolitik der G20 angesagt haben, nicht im öffentlichen Raum zelten lassen. Sie versuchen, per Allgemeinverfügung große Teile der Innenstadt für Tabuzonen des demokratischen Geschehens zu machen. Die Politik rührt ordentlich die Trommel von den angeblichen Sicherheitszwänge, es werden terroristische Gefahren mit Halbwahrheiten früherer Großproteste zusammengemischt.

Polizeiliche Verbotskultur

Die Botschaft, die so ausgesandt wird, ist eine Doppelte - sie richtet sich gegen jene, die noch überlegen, ob es nicht doch ganz gute Gründe gibt, zu demonstrieren, die aber von der polizeilichen Verbotskultur abgeschreckt werden könnten. So werden die wohlfeilen Reden der Politik in der Praxis dementiert, in denen gern betont wurde, dass man sich Protest gegen die G20 sogar wünsche, da er zu Demokratie gehöre. Friedlich soll er bleiben, na klar.

Wer allerdings zugleich alles daran setzt, jegliche Form des öffentlichen Protestes zu unterbinden, zu behindern, an den Rand des Geschehens zu verbannen, der soll sich die Lobreden auf die Versammlungsfreiheit sparen. In diesem Fall dient der Verweis auf Grundrechte bloß dazu, ein bisschen außenpolitische Propaganda gegen die in Hamburg ebenfalls auftretende Internationale autoritärer Regierungschefs zu machen. Wer lebendige Demokratie haben will, muss auch damit leben, dass Menschen im Park übernachten und dort demonstrieren, wo es die Herrschenden stört. Im wirklichen Sinne des Wortes.

Die Versammlungsfreiheit ist nicht irgendwas, und gern wird die zentrale Bedeutung dieses Grundrechts ja auch gegenüber anderen Ländern in Stellung gebracht. Zu Recht. Nur muss man dann auch selbst die Maßstäbe einhalten. Dass es den Hamburger Behörden zuvörderst darum geht, die Proteste zu verhindern, zu erschweren, auszulagern, zeigt sich schon an der Beliebigkeit, mit der die Untersagungen des Protestcamps begründet werden - wenn ein grünanlagenrechtliches Verbot nicht zieht, versucht man es eben mit der Sicherheitsmasche.

Eine Chance für die G20-Kritiker

In dem zunächst juristischen Gerangel liegt freilich auch eine Chance für die Kritiker von G20 - ihr Anliegen wird in diesem Fall zu einem der Res publica insgesamt, zu einer Sache, die keinen kalt lassen sollte. Es geht um einen Pfeiler grundrechtlich geschützter Betätigung von Bürgern. Nicht nur um die Freiheit von ein paar Linken, im Stadtpark zu zelten, weil es von dort nicht so weit ist bis zu den geplanten Protestaktionen. Es geht darum, wie sehr sich eine Gesellschaft selbst ernst nimmt. Welche Rolle man dem verfassungspolitischen Selbstanspruch zubilligt.

Anders gesprochen: Für die Versammlungsfreiheit der G20-Kritiker sollten sich nun auch jene engagieren, die mit deren politischen Anliegen womöglich gar nicht übereinstimmen. Die G20-Kritiker wiederum sollten sich bemühen, die Auseinandersetzung um die Demonstrationsfreiheit in Hamburg, auch wenn es nun wie ein Streit um das Recht zu zelten aussieht, zu verallgemeinern, das heißt, anschlussfähig machen für Kreise, mit denen man sonst vielleicht politisch nicht viel zu tun hat. Eine gemeinsame Demo mit der FDP? Warum nicht sogar das? Die Empörung um den Frankfurter Blockupy-Kessel, die Tausende aus der Bürgergesellschaft auf die Straße trieb, hat gezeigt, welche Bündnisse hier möglich und wirkungsvoll sind.

Unentbehrliches Funktionselement

Im Übrigen: Es gibt ein Urteil aus Karlsruhe, was bis heute die Maßstäbe der Versammlungsfreiheit setzt. Es sind dies sehr weite und also gute Maßstäbe. Das Recht zu demonstrieren ist damals zu den »unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens« gerechnet worden. Das gilt bis heute. Dieses Recht, weil der Einwand nun sicher gleich kommen wird, kann auch nicht schon dadurch einfach so beschränkt werden, indem man darauf verweist, es habe doch schon unfriedliche Demos gegeben. Auch hier kann an den Brokdorfbeschluss erinnert werden: Der Schutz der Versammlungsfreiheit muss auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen.

Die Richter in den roten Roben haben jetzt einen Eilentscheid treffen müssen, der manches offen lässt. Offen lassen muss. Sie haben erklärt, dass sich »schwierige und in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ungeklärte Fragen« stellen, auch die, »ob oder wieweit das Protestcamp als Versammlung« gelten darf.

Man könnte sagen: In Zeiten, in denen die Gipfel der Herrschenden nicht zuletzt daraus ihre politische Aussagekraft beziehen, dass sie als öffentliche Inszenierungen von Handlungsfähigkeit organisiert werden, es also auch auf die symbolische Bildhaftigkeit ankommt, dass hier Leute zusammenkommen, vor Fahnen stehen, die Stadt mit ihrem Tross aus Sicherheitsleuten und Sherpas belagern, in solchen Zeiten kommt einem Protestcamp eine ebensolche politische Qualität zu: hier wird dann eben die Gegenmeinung »belagernd« und symbolisch inszeniert.

Das mag ein Hauptsacheverfahren klären. Solange unterstellen die Richter die Campfrage vorsorglich den Regeln des Versammlungsrechts. Damit ist die Campfrage auch politisch eine der Verfassungswirklichkeit. Diese geht alle an. Nicht nur die G20-Kritiker. Deren Zelte könnte zu einem Symbol werden.

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