Es geht ein Rad auf Reisen
Das Kunstwerk vor der Volksbühne wird abmontiert
Dieser Streit zwischen Hinterbliebenen und Politikern drohte zuletzt zu einer Tragödie zu werden, wie sie die griechische Antike kaum theatralischer hätte erfinden können. Nein, es geht nicht um den Leichnam des grotesk überschätzten Jammerlappens Helmut Kohl, sondern um den Nachlass des grotesk unterschätzten Bühnenbildners Bert Neumann. Der entwarf 1990 ein Rad aus Metall für die Volksbühne, das 1994 von dem Bildhauer Rainer Haußmann angefertigt worden ist und seitdem auf dem Rasen am Rosa-Luxemburg-Platz thront. Während der vergangenen zwei Jahre, die die Debatte um das Ende der aktuellen Intendanz am Haus schon andauert, hat sich dieses Räuberrad zum Symbol des Widerstands entwickelt. Es dient nur noch dem Zweck, gegen die Ablösung des sich anarchisch gebenden Frank Castorf durch den managementliteraturgestählten Belgier Chris Dercon zu protestieren.
Dabei zeigt gerade dieses Rad, dass auch das Team um Castorf mit dem einen oder anderen Buch aus der wunderdoofen Welt des Neoliberalismus vertraut sein dürfte. Unter den vielen Merchandisingartikeln der Volksbühne geriet das Streichholzbriefchen mit dem gezeichneten Speichenrad auf Beinen zum größten Renner. Wobei das ein Reizwort ist, das jedoch die Geschichte voranbringt: Die Entscheidung zum Intendantenwechsel traf im Frühjahr 2015 nämlich ein Kulturstaatssekretär namens Tim Renner (SPD). Das Räuberrad, so stand nun für die Alteingesessenen fest, darf nicht bleiben, wenn der kapitalistische Räuber Dercon in die proletarisch geprägte Volksbühne zieht. Dann starb Bert Neumann überraschend am 30. Juli 2015. Castorf wollte das Rad in ein Museum verfrachten. Die Hinterbliebenen des Verblichenen aber wünschten sich den Verbleib vor der Volksbühne.
Im Herbst 2016 flog die CDU aus dem Senat, weshalb auch der bei den nun mit der SPD regierenden Grünen und Linkspartei verhasste Renner gehen musste. Seitdem gibt es mit Klaus Lederer (LINKE) in Berlin wieder einen richtigen Kultursenator, der keine Gelegenheit auslässt, sich als Castorfist zu offenbaren. Dem Wunsch des scheidenden Theatertitanen schien er Folge leisten zu wollen: Das Rad sollte Castorfs Truppe zu letzten Gastspielen nach Avignon begleiten, hernach war es als Premiumprodukt irgendeiner Kunstsammlung eingeplant. Die Erben Neumanns hielten weiter dagegen.
Alles lief auf eine Seifenoper hinaus, da verwandelte am Mittwochabend eine Pressemitteilung aus dem Senat die Tragödie in ein Märchen: Man habe sich mit den Hinterbliebenen darauf geeinigt, dass das Rad nach Avignon dürfe und nach einer einjährigen Sanierung wieder zur Volksbühne zurückkehre. Der erste Abbauversuch scheiterte am Mittwoch, weil das Ding zu fest in der Erde steckte. Das aus der letzten Vorstellung von Castorfs »Kabale der Scheinheiligen« strömende Publikum applaudierte. Vom Kompromiss wussten die meisten da wohl noch nicht. Ist das nun ein Happy End? Immerhin darf der belgische Gottseibeiuns das Ding behalten!
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