Merkels neue Klimakleider
Nicht nur bei G20 fordert LINKEN-Energieexpertin Eva Bulling-Schröter lauten Protest für mehr Klimaschutz
Jeder kennt das Sprichwort: Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen. In der schnellen Politik gelten solche Handlungssätze wenig. Im Wahlkampf sowieso nicht. Alt-Meisterin des Vortäusch-und-Ablenk-Marketings ist Kanzlerin Angela Merkel. Nicht nur in der Flüchtlingsfrage gibt die neoliberale Pfarrerstochter die große Humanistin, seitdem sie den in Not geratenen Geflüchteten aus Syrien und dem Rest dieser ungerechten Welt kurz einen Türspalt ins reiche Deutschland öffnete. Und im Gegenzug, ganz Schülerin von Ziehvater Kohl, mit dem türkischen Pascha Erdogan einen schmutzigen Deal aushandelte, der die Tore Europas versperren soll. Merkel baut Mauern um Europa. Merkel paktiert zur Migrantenabwehr mit Putschisten aus Ägypten, mit Despoten in Eritrea und Sudan. Schüttelt Hände von Öl-Scheichs, unter deren Ägide Menschen geköpft werden. Hauptsache, das Image stimmt.
Auch in der Klimafrage gibt Merkel die Retterin. Handeln wäre dringend nötig. Der Welt steht das Wasser bis zu den Knien. Schon um 1 Grad hat sich das Weltklima im Vergleich zum Beginn der industriellen Revolution, die durch die Verbrennung von Kohle, später Öl und Gas angetriebene Geburtsstunde des Kapitalismus, erwärmt. Der Klimawandel ist harte Realität. Dürren, Klimaflucht, Gletscherschmelze, Tornados, die Klimawandelfolgen tun weh. Und treffen die Menschen und Länder, die ihn am wenigsten verursacht haben. Die nicht-industrialisierten Weltgegenden, ausgebeutete Ex-Kolonien, die bis heute unter den ungerechten Machtverhältnissen des Weltmarktes stöhnen.
Ungestört konnten sich Merkel und ihre wechselnden Koalitionspartner lange auf die eigene Schulter klopfen. Bis 2020 sollte die deutsche Volkswirtschaft 40 Prozent weniger Klimagase ausstoßen als 1990. Dieses Klimaziel, das Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf der UN-Klimakonferenz in Bali als Umweltminister vor zehn Jahren verkündet hatte, war ehrgeizig. Und zusammen mit der Energiewende Aushängeschild deutscher Klimarettungspolitik. Dass ein Drittel der Minderungsziele auf die Wiedervereinigung zurück und die damit einhergehende De-Industrialisierung des alten Ostens durch das westdeutsche Kapital zurückgeht, über diese trickreiche Einpreisung wurde meistens geschwiegen.
Je näher die 2020-Kontrollmarke deutscher Klimapolitik rückt, desto mehr steht die alte Klimakönigin nackt da. Seit der Verabschiedung des Energiekonzeptes der Bundesregierung im Jahr 2010 ist die Klimaschutzpolitik in Deutschland praktisch zum Stillstand gekommen. Um das 40-Prozent-Ziel zu schaffen müssten jedes Jahr 31,8 Millionen Tonnen CO2 weniger ausgestoßen werden. Gerade gehen die Emissionen aber nur um 8,6 Millionen Tonnen pro Jahr runter. Im Verkehrssektor sind sie sogar gestiegen. Eine nötige Vervierfachung der Klimaschutz-Anstrengungen ist nicht in Sicht.
Offensichtlicher Grund ist das Dauer-Einknicken der Großen Koalition vor der Lobby der Industrie, die mit dem Verfeuern von Kohlebergen in Kraftwerken oder dem Verbrennen von Erdöl in Autos ihren privaten Profit einfährt. Und die bei jedem Versuch der Politik, von schmutziger Energie hin zu sauberer Energie zu kommen, ihr schmutziges Propaganda-Fass aufmacht, und den Untergang von Wohlstand und eine Flut von Massenarbeitslosigkeit an die Wand malt.
Aus Angst vor dem Geschrei der Lobbyverbände und Sorge um ihr Klimaretter-Renommee zeigt die dauerwahlkämpfende Merkel lieber mit dem Finger auf Klimawandel-Leugner Donald Trump. Nichts kommt Merkel im Superwahljahr 2017 besser gelegen als der Bad Boy der Klimapolitik. Mit dem symbolträchtigen Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen hat der Multimilliardär seinem Land und dem Weltklima einen Bärendienst erwiesen. Den G20-Gipfel in Hamburg wird die Kanzlerin dazu nutzen, sich auf großer Bühne den Heiligenschein aufzusetzen. Aufgabe der LINKEN und Protestbewegungen muss es sein, laut auf die neuen Kleider der falschen Klimakönigin hinzuweisen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.