Bedrohung der Macht
Mehrere arabische Regierungen fordern die Schließung des Nachrichtensenders Al Dschasira
Wenn man in Kairo, Riad, Dubai oder Bagdad den Fernseher einschaltet, sich durch die Programme schaltet, dann sieht man Fernsehserien, in denen bessere Leute lieben und leiden, man hört religiöse Erbauung, man erfährt von ernst drein blickenden Sprechern von den neuesten Errungenschaften der jeweiligen Regierung. Und irgendwann sieht man auch dies: Berichte über Umweltverschmutzung, über das Leben in der von Huthi-Milizen kontrollierten jemenitischen Hauptstadt Sana‘a, über israelische Siedler; man hört, wie Analysten die arabische Tagespolitik auseinander nehmen.
Seit seiner Gründung 1996 durch die Regierung des Emirats Katar hat sich der arabischsprachige Nachrichtensender Al Dschasira in der arabischen Welt eine große Zuschauerzahl erarbeitet. Nach eigenen Angaben hat der Sender rund 40 Millionen Zuschauer täglich; zuverlässige Erhebungen über die Reichweite gibt es aber nicht.
Sicher ist aber: In Gaststätten, in Geschäften, überall wo Menschen zusammen kommen, und ein Fernseher steht, läuft irgendwo auch Al Dschasira; die Verbreitung des Senders ist so groß, dass er in der diplomatischen Krise zwischen einer Reihe von arabischen und muslimischen Staaten und Katar eine zentrale Rolle spielt: In einer Liste von 13 Forderungen, die Katar vor Aufhebung der Blockade erfüllen soll, steht die Schließung des Nachrichtenprogramms ganz oben.
Der Sender fördere den Terrorismus, werde von der katarischen Regierung dazu genutzt, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, sagen vor allem die Regierungen Ägyptens und Saudi-Arabiens. Als Beleg dafür führt man Interviews mit Vertretern von islamistischen, oft auch militanten Gruppen wie der palästinensischen Hamas, der Hisbollah im Libanon, den afghanischen Taliban, den Huthi-Milizen im Jemen oder der Muslimbruderschaft in Ägypten an.
Weniger deutlich äußern die jeweiligen Regierungen aber, dass man den Begriff »Terrorismus« sehr viel weiter fasst: »Wenn eine Gruppe gegen die legitime Regierung eines Landes agitiert, dann ist das Terrorismus«, sagte Prinz Mohammad, damals saudischer Verteidigungsminister, der seit der vergangenen Woche nun offiziell Thronfolger ist, 2016 in einem Interview, und der ägyptische Präsident Abdelfattah al Sisi erklärt ebenfalls immer wieder oppositionelle Gruppierungen auch dann zu »Terroristen«, wenn sie nicht gewaltbereit sind. Denn in dieser Logik erzeugen diese Gruppen Gewalt, weil sie andere Ansichten vertreten; »Anstachelung zum Aufruhr« sei das, heißt es in Ägypten, »Aufrufe zur Destabilisierung des Staats« nennt man es in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Es gibt aber durchaus auch andere, nicht machtpolitische Kritiker des Senders. Sie verweisen auf eine Vielzahl Studien und Auswertungen. So erklärt der israelische Historiker und Ex-Botschafter in den USA, Itamar Rabinowitsch, der Sender sei ein »politisches Instrument für eine nationalistische und islamistische Agenda.« Und nach Ansicht der österreichischen Politikwissenschaftlerin Petra Ramsauer trägt der Sender maßgeblich zur Radikalisierung unter den Muslimen bei.
»Wir versuchen, ein möglichst umfassendes Bild aller gesellschaftlichen Strömungen in den Ländern, über die wir berichten, zu vermitteln«, sagt dazu ein Sprecher der Al Dschasira-Muttergesellschaft »Qatar Media Corporation«, die der katarischen Herrscherfamilie gehört: »Es würde wohl niemand auf die Idee kommen, einem europäischen Fernsehsender Radikalisierung vorzuwerfen, weil er über rechte Gruppierungen oder Flüchtlingsthematiken berichtet.« Auch radikale Gruppierungen seien »Teil der arabischen Realität.«
Das Unternehmen verweist auf die eigene Israel-Berichterstattung: Immer wieder lässt man dort auch Vertreter der israelischen Rechten, selbst der in Israel als terroristisch eingestuften Kach-Bewegung zu Wort kommen. Und aus Ägypten berichtet man derzeit sehr umfangreich über säkulare Gruppierungen, Bewegungen der Zivilgesellschaften, von denen viele von der ägyptischen Regierung als terroristisch eingestuft werden.
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