Was abweicht, wird nicht geduldet
Ehe für alle? Replik auf eine Debatte in den sozialen Netzwerken, ausgelöst durch einen »FAZ«-Gastbeitrag
Das Maß von Meinungsfreiheit und Toleranz misst sich daran, wie unerbittlich laut der Chor jener ist, die nach einer ideellen Einheitsfront bei solchen Themen rufen, auf die die Mehrheitsgesellschaft sich in seltener Einmütigkeit geeinigt hat. Nehmen wir das Thema Flüchtlinge: Nachdem Angela Merkel im Spätsommer 2015 - richtigerweise! - erklärt hatte »Wir schaffen das!«, reichte die publizistische Einheit von »Taz« und »nd« bis zu den Blättern des Springer-Verlages. Wer sich da - noch dazu als Linker - skeptisch äußerte, musste seine Worte mit Bedacht wählen, um nicht als Menschenfeind missverstanden zu werden. Tat er das nicht, spitze er zu, polemisierte er gar, dann richtete sich die Gegenrede nicht gegen die Zuspitzung, gegen die Polemik oder gegen das Argument an sich, sondern gegen den Autor oder die Autorin. Es sind die roten Linien, die erst trennen, dann diffamieren, um schließlich die alles entscheidende Frage zu stellen: Bist Du für oder gegen uns?
Wer nicht für dieses »uns« ist, wird zum Reaktionär gestempelt. Dissidente Meinungen aber sind wichtig, um totalitäre Selbstgewissheit einzugrenzen. In der »FAZ« erschien am vergangenen Freitag eine solche Meinung. Unter der Überschrift »Wir verraten alles, was wir sind«, polemisierte in der Rubrik »Fremde Federn« ein gewisser Johannes Gabriel, der von der Redaktion als »Philosoph und Psychologe« vorgestellt wurde, gegen die Ehe für alle, die am gleichen Tag vom Bundestag beschlossen wurde. Der Autor ist, wie im Text deutlich wird, selbst schwul und besteht auf die Differenz zu den Heterosexuellen, die durch die Ehe für alle seiner Meinung nach aufgegeben werde. »Was? - Ihr wollt nun auch noch Kinder?«, schleudert er den Befürwortern entgegen. »Wird das Kind nicht zur Ware narzisstischer Selbstbefriedigung?«, fragt sich der Autor, zu einem »›Bio-Ding‹ (…), um daran Hetero-Mama-Papa zu spielen?«
Die Passage, die seit Tagen in den sozialen Netzwerken die meiste Empörung hervorruft, findet sich in der Mitte des Artikels. Sei es wirklich »so abwegig, was manche Gegner der Homo-Ehe behaupten, dass Kinder, die von zwei Männern groß gezogen würden, einem höheren Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt seien, «weil die Inzest-Hemmung wegfällt» und weil «die sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit» ganz «ohne sexual-ethische Normen» herausgebildet habe? «Homophobie» ist auf Facebook und Twitter noch der geringste der Vorwürfe, mit dem auf dieses Argument reagiert wird.
Nicht die öffentliche Zurückweisung dieses Arguments ist das Problem, sondern der Furor, mit dem diese Zurückweisung der totalitären Meinungsgleichschaltung das Wort redet. Für das Online-Lifestylemagazin «Vice» ist der «FAZ»-Gastbeitrag ein Beispiel eines «reaktionären Journalismus». 80 Prozent der Bevölkerung seien schließlich «FÜR die Ehe für alle. Es könnte aber genauso gut heißen: Laut Umfragen sind 20 Prozent der Bevölkerung NICHT FÜR die Ehe für Alle.» Das sei immerhin jeder Fünfte«, empört sich »Vice«
Die Versalien-Schreibweise des »für« und des »nicht für« sagt uns: Erst wenn die letzte Nein-Meinung verschwunden ist, ist die Emanzipation der Schwulen und Lesben vollbracht. Eine beängstigende Vorstellung, dass die Emanzipation des Menschen mit der totalitären Gleichschaltung der Meinung verbunden sein soll.
Hinter dem Gastautor der »FAZ« verbirgt sich möglicherweise der schwule katholische Theologe David Berger, wie das Medienmagazin »meedia« berichtet. Berger hat sich zwar in der Vergangenheit gegen die Homosexuellenfeindlichkeit seiner Amtskirche dezidiert positioniert, sich in den zurückliegenden Jahren aber auch islamkritisch geäußert; queere Aktivisten werfen ihm unter anderem ein »traditionelles Männerbild« vor. Berger selbst hat die Autorenschaft nicht bestätigt. In einem mittlerweile gelöschten Tweet, so »meedia«, hat er auf die diesbezügliche Frage bedeutungsschwanger geantwortet: »In Zeiten wie unseren, ist es wichtig die Strategien der ›Inneren Emigration‹ wieder auszugraben.« Dieser Grund für die anonyme Autorenschaft findet sich aber schon im inkriminierten »FAZ«-Text. Der »Druck der Comunity«, so »Stefan Gabriel«, sei viel zu groß, um abweichende Meinungen öffentlich zu äußern.
Nachbemerkung: Das Argument »Gabriels«, das mit der Ehe für alle verbundene Adoptionsrecht für Schwule sei abzulehnen, weil in solchen Beziehungen für Kinder ein erhöhtes Risiko sexueller Gewalt bestehe, kann leicht widerlegt werden. Ja, auch Kinder von Homosexuellen können Opfer elterlicher Gewalt werden, aber selbst dann, wenn die Gefahr für diese Kinder höher als bei jenen sein sollte, die in heterosexuellen Familien groß gezogen werden, kann dies kein Argument gegen die Elternschaft von Schwulen sein, denn es würde unzulässigerweise von einem Verhalten einer Minderheit auf die Gesamtheit der schwulen Eltern verallgemeinern.
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