»Lesen Sie Adorno, dann schicken Sie Dudde zum Teufel!«

Über den Versuch eines Aktivisten, die Polizei zur Lektüre der Frankfurter Schule zu bringen - und ihrem Einsatzleiter den Gehorsam zu verweigern

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 3 Min.
»Lesen Sie Adorno, dann schicken Sie Dudde zum Teufel!«

»Nein, aber Adorno hat etwas ganz anderes gemeint!« Verdutzt bleibe ich stehen und drehe mich um. Ich laufe gerade über eine hellgrün leuchtende Wiese in Hamburg Entenwerder, als mir dieser Satz in die Ohren geweht wird. Weiter hinten steht ein Aktivist mit seinem Fahrrad zwei Polizisten gegenüber. Er gestikuliert wild. Hinten auf dem Kindersitz dreht sich ein kleiner Junge zu mir um. Was der Mann weiter sagt, verstehe ich nicht genau. Ich gehe hinüber zu der kleinen Versammlung. Keiner reagiert auf mich. Wie gebannt hören die Polizisten dem Mann im Anarcho-Pulli zu.

»Die Vernunft, der Sie und ihre Kollegen hier folgen, ist ganz genau das, was Horkheimer unter instrumenteller Vernunft beschrieben hat! Fragen Sie sich denn überhaupt nicht, wofür Sie diese Wiese hier beschützen? Und vor wem? Macht das für Sie etwa Sinn? Die Leute kommen doch für eine gute Sache hierher! Sie wollen gegen den Kapitalismus protestieren, der so viele Leute umbringt! Wollen Sie denn nicht auch etwas gegen die globale Armut tun?« Die beiden Beamten halten ihre Helme vor den Bäuchen. Einer nickt wohlwollend, »Jaja«, sagt er. »Ich weiß, es ist schwer, als einzelner auszubrechen«, führt der Aktivist fort, »jeden einzelnen Tag stimmen wir für den Kapitalismus ab! Jeden Tag! Im Supermarkt an der Kasse stimme ich ab, in der U-Bahn stimme ich ab... Es ist nicht leicht, aber gemeinsam können wir ihn doch umstürzen, können wir ihn überwinden! Sie müssen nur mitmachen!« Die Beamten lächeln, nicken.

»Und dieses Campverbot, das Sie hier durchsetzen, das ist auch nicht das eigentliche Problem. Ich kann gar nicht fassen, dass wir die ganze Zeit über dieses Camp diskutieren! Das ist doch nie eine Erscheinung der ganzen kapitalistischen Herrschaft in all ihren Facetten, haben Sie Hegel gelesen? Wesen und Erscheinung?« - »Darf ich ein Foto machen?«, frage ich. Alle drei wischen mich mit einer Handbewegung weg. »Jaja!« - »Das Campverbot und der ganze Krampf hier ist eine Erscheinung, wenn wir uns darüber weiter streiten, dann führt das zu gar nichts! Sie folgen einer instrumentellen Vernunft und verteidigen die Erscheinung dessen, das Sie selbst ablehnen!« Lächeln, nicken. »Lesen Sie! Lesen Sie Hegel, lesen Sie Adorno und Horkheimer, wirklich!« »Wir lesen ja!« »Ja, aber nicht diesen BILD-Scheiß, lesen Sie Vernünftiges! Ich schwöre Ihnen, wenn Sie Hegel und Adorno lesen, dann schmeißen sie Ihre Helme weg und schicken Dudde zum Teufel!« Die Beamten lachen. »Papaaaa, hör jetzt endlich auf, wir fahren jetzt weitaaaa!«, quengelt der Junge. »Versprechen Sie mir, zu lesen?« - »Papaaaaa! Weitaaaa!« - »Wir lesen ja!« Der Aktivist schüttelt den Kopf und wendet sich erstmals zu mir. »Ich muss los. Du musst jetzt übernehmen.« Dann fährt er weg.

Bedröppelt schauen die Polizisten mich an. »Ähm... diskutieren Sie denn überhaupt über das Urteil des Verwaltungsgerichts?«, frage ich, mit meiner neuen Herausforderung leicht überfordert. »Nein«, antwortet mir der Polizist, der immer lächelt. »Das ist doch gar nicht unsere Aufgabe.«

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