Mehr als 2000 Menschen im Mittelmeer gestorben

Über 100.000 Menschen im ersten Halbjahr 2017 per Boot nach Europa geflüchtet / »Ärzte ohne Grenzen«: Großteil von Nichtregierungsorganisationen gerettet

  • Lesedauer: 3 Min.

Genf. Seit Jahresbeginn haben nach UN-Angaben 101.000 Menschen über das Mittelmeer die Küsten Europas erreicht. 2250 Menschen seien auf dem gefährlichen Seeweg ums Leben gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Dienstag in Genf mit. Rund 85 Prozent der Flüchtlinge und Migranten seien in Italien an Land gegangen. Die anderen seien in Griechenland, Zypern und Spanien registriert worden.

Die Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« fordert angesichts der Zahlen die EU auf, für eine ausreichende staatliche Seenotrettung im Mittelmeer zu sorgen. Außerdem dürfe die libysche Küstenwache nicht weiter aufgerüstet werden, solange sie durch rücksichtsloses Verhalten Flüchtlinge in Gefahr bringe, erklärte Florian Westphal, Geschäftsführer von »Ärzte ohne Grenzen« Deutschland, am Dienstag in Berlin.

Vor dem Treffen der EU-Innenminister am Mittwoch und Donnerstag im estnischen Tallinn haben nach Angaben von »Ärzte ohne Grenzen« Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), seine Amtskollegen aus Italien und Frankreich sowie EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in Paris eine Erklärung verabschiedet, in der sie unter anderem zusätzliche Unterstützung für die libysche Küstenwache fordern sowie einen Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen, die in der Seenotrettung im Mittelmeer aktiv sind.

Bis zum 21. Juni haben die europäischen Marineschiffe in diesem Jahr laut »Ärzte ohne Grenzen« nur zwölf Prozent der Menschen im Mittelmeer aus Seenot gerettet. Ein Großteil der Menschen sei durch Nichtregierungsorganisationen und die italienische Küstenwache gerettet worden. »Die EU-Staaten müssen endlich Menschenleben retten, statt sich auf neue Vorschriften für NGOs zu fokussieren«, sagte Westphal.

Im ersten Halbjahr 2016 hatten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge noch knapp 232.000 Menschen in Booten Europa erreicht. Mehr als 2960 Männer, Frauen und Kinder waren bei der Passage ums Leben gekommen oder gelten als vermisst. Den Rückgang bei den Überfahrten erklärten die UN mit der Schließung der sogenannten Balkan-Route, auf der viele Flüchtlinge von Südosteuropa in die nördlichen Länder des Kontinents wie Deutschland gelangten. Zudem zeige der Pakt der EU mit der Türkei über die Rückführung von Flüchtlingen seine Wirkung. Die Zahl der Unglücke und Toten bleibe im Vergleich zu 2016 dennoch hoch, weil viele der kaum seetauglichen Schlepper-Boote in diesem Jahr von Nordafrika über die gefährliche zentrale Mittelmeer-Route nach Italien fuhren.

Hilfsorganisation sehen ihren Einsatz im Mittelmeer zunehmend durch unbelegte Vorwürfe von Staatsanwälten und politische Stellungnahmen behindert. Im Juni hatten die Hilfsorganisationen »Ärzte ohne Grenzen«, »Sea Watch« und »SOS Méditerranée« deshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem offenen Brief zu einem klaren Bekenntnis zur Seenotrettung im Mittelmeer aufgefordert. Ende Juni hatte die sächsische Justiz Ermittlungen wegen des Verdachts auf Schleusertätigkeit gegen die Dresdener Hilfsorganisation »Lifeline« eingeleitet, dieser aber vor wenigen Tagen eingestellt. epd/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.