Ein Kirchenmann von freimütiger Drastik

Mit Kardinal Meisner starb ein reaktionärer Rebell

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine von ihm selbst erzählte Anekdote geht so: Als er fünf Jahre alt war, riet ihm seine Mutter angesichts reichlichen Sternschnuppenfalls zu einem Wunsch. »Und da sagte ich: Ich will Priester werden.« Das war Sommer 1939 im niederschlesischen Breslau. Mit solchen Worten beginnen nicht selten Karrieren. So auch die von Joachim Meisner.

Nach Vertreibung und Flucht aus Schlesien 1945 verschlug es die Familie ins Thüringische. Der geistliche Berufswunsch wurde 1951 zunächst von einer Bankkaufmannslehre verdrängt. Doch statt für den Mammon und dessen Mehrung entschied sich Meisner dann doch für Gott und dessen Preisung: Ein nachgeholtes Abitur ermöglichte ihm das Studium von Philosophie und Theologie in Erfurt. 1962 wurde er zum Priester geweiht. Es folgten 1969 die Promotion zum Dr. theol. an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und 1975 die Bischofsweihe. Die klerikalen Aufgaben und Ämter Meisners in Thüringen mündeten schließlich 1980 in die Ernennung zum Bischof von Berlin durch Papst Johannes Paul II. Im Unterschied zur politisch-territorialen Realität war die Stadt innerhalb der Diözese ungeteilt.

Neun Jahre später, inzwischen Kardinal, endete Meisners Wirken in der DDR, von deren »kommunistischer Bande« er sich laut eigener Aussage nie habe beeindrucken lassen. Indes sorgte seine Ernennung zum Erzbischof von Köln für Unruhe wegen der gegen allen lokalen und regionalen Widerstand exekutierten Einsetzung des von Rom favorisierten Kandidaten. Meisner wurde als Erzbischof von Köln am 28. Februar 2014 emeritiert und lebte bis zu seinem Tod am Mittwoch während eines Urlaubs in Bad Füssing (Bayern) in der größten Metropole am Rhein.

Mit Meisner verliert Deutschlands katholische Kirche ihren profiliertesten und zugleich umstrittensten Kleriker, der über Jahrzehnte für Presse, Politik und Publikum als willkommener Watschenmann herhalten musste - eine Rolle, in der er sich nicht unwohl fühlte. Der streitbare und wortstarke Kirchenmann machte aus seinen erzkonservativen bis tiefreaktionären Überzeugungen nie ein Hehl. Vor allem in Sachen Homoehe und Geburtenkontrolle (bei der er schon mal Abtreibung mit dem Holocaust verglich) waren die öffentlichen Reflexe so sicher wie schlicht. Vom »Hassprediger« über den »geistigen Brandstifter« bis zu »Gottes Rottweiler« reichte das immer wieder repetierte Repertoire.

Dabei wurde geflissentlich übersehen, dass Meisner eben kein notorischer »Krawallkardinal« war, sondern ein angesichts des grassierenden Relativismus um die katholischen Werte Besorgter. Werte, die für ihn nicht verhandelbar waren, da direkt von Gott gegeben. Diese antiquierte Überzeugung verlieh den Äußerungen des reaktionären Rebellen in herausragender kirchenpolitischer Position jene freimütige Drastik, die heute jeder kirchliche Karrierist meidet. Und sie führte nach seiner Emeritierung sogar zum offenen Konflikt mit Papst Franziskus, zu dem der Kardinal in Sachen Lehre zunächst keine Differenzen erwartet hatte.

So war Meisner vor einem guten halben Jahr erst vom Vatikan bezichtigt worden, eine »Ohrfeige für den Papst« verantworten zu müssen. Gemeinsam mit drei weiteren Kardinälen hatte Meisner zuvor einen Brief an Papst Franziskus verfasst, in dem Teile von dessen Schreiben »Amoris laetitia« in Zweifel gezogen werden. Dabei geht es vor allem um Passagen in dem pontifikalen Papier zur Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion. Die für Nichtkatholiken schwer verständliche Debatte hat sich inzwischen zu einem Kalten Krieg um die Kirchenlehre entwickelt. Da der Papst den Kardinälen nicht antwortete (und überhaupt eine klare Positionierung vermeidet), machten die Vier ihren Brief öffentlich. Was den Präsidenten des vatikanischen Berufungsgerichts, Pio Vito Pinto, zur Bemerkung veranlasste, Meisner, ein »großer Oberhirte«, habe »mit dieser Aktion einen Schatten auf seine Geschichte gelegt«. David Berger, der als schwuler Theologe selbst Meisners Unbarmherzigkeit zu spüren bekam, erklärte zu Roms Reaktion, er schäme sich »als Katholik und Theologe für dieses Gebaren, das das treue Festhalten an Kernpunkten der kirchlichen Lehre bestrafen möchte, zutiefst«. Aus Bergers Worten spricht ehrliche Wertschätzung. Bei den jetzt einlaufenden Würdigungen seiner »Glaubensstärke« und »kritischen Stimme« wäre der Verblichene wohl sehr vorsichtig mit einem solchen Urteil.

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