Sea-Watch kritisiert EU-Pläne für Seenotretter vor Libyen
Hilfsorganisation: »Das bedeutet mehr tote Flüchtlinge« / Grünen-Abgeordnete Brantner spricht von »Zynismus pur« in EU-Flüchtlingspolitik
Tallin. Sea-Watch hat die EU-Pläne für einen Verhaltenskodex für die Rettung von Bootsflüchtlingen vor der Küste Libyens scharf kritisiert. »Wenn wir gezwungen werden, gerettete Flüchtlinge selbst in Häfen in Italien zu bringen, werden die Einsatzkräfte zur Seenotrettung reduziert«, erklärte der Sprecher der deutschen Hilfsorganisation, Ruben Neugebauer. »Das bedeutet mehr tote Flüchtlinge.« Neugebauer warf der EU eine »Abschottungsstrategie« vor, »die bewusst Tote in Kauf nimmt«.
Die italienische Regierung will beim Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag in Estlands Hauptstadt Tallinn einen Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen vorschlagen, die mit eigenen Booten Flüchtlinge vor Libyen retten. Hintergrund sind die zuletzt stark gestiegenen Ankunftszahlen von Bootsflüchtlingen in Italien, durch die sich das Land an seiner Kapazitätsgrenze sieht. Der Vorschlag Roms sieht unter anderem vor, dass die privaten Organisationen gerettete Flüchtlinge nicht mehr anderen Schiffen übergeben dürfen. Sie müssen diese stattdessen selbst in einen »sicheren Hafen« bringen, was entsprechend Zeit in Anspruch nimmt und die Zahl möglicher Rettungseinsätze verringert.
Neugebauer forderte von der EU, selbst mehr Boote zur Seenotrettung einzusetzen anstatt dies privaten Hilfsorganisationen zu überlassen und diese nun auch noch in ihrer Arbeit zu behindern. »Das ist wie zu sagen, es sterben zu viele Motorradfahrer auf den Straßen, deshalb schicken wir jetzt keine Krankenwagen mehr los«, sagte der Sea-Watch-Vertreter. Gleichzeitig wies er Vorwürfe aus den EU-Staaten zurück, die privaten Seenotretter würden gemeinsame Sache mit Schleuserbanden machen. »Das sind unhaltbare Vorwürfe, die immer wieder erhoben werden. Bis heute haben wir von den Behörden dafür noch keinen einzigen Beweis gesehen.« Angesichts der schwierigen Lage zu versuchen, »denen, die Seenotrettung betreiben, die Schuld in die Schuhe zu schieben«, sei »armselig«.
Auch die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner (Grüne) kritisiert Pläne der EU. Der jüngste Vorschlag der Kommission, in dem nordafrikanischen Krisenland ein Seenot-Rettungszentrum einzurichten, sei »Zynismus pur«, so Brantner. Überlegungen Italiens, private Seenotretter zur stärkeren Zusammenarbeit mit italienischen Behörden zu verpflichten, nannte sie »unverantwortlich und weltfremd«. »Sie setzen nur auf Repression.« Die libysche Küstenwache solle weiter mit EU-Geldern »zugeschüttet werden«. Gleichzeitig will die Kommission jene, die helfen, noch stärker drangsalieren, erklärte Brantner. »Wenn private Nichtregierungsorganisationen diskreditiert und ihren Schiffen der Zugang in Gewässer verwehrt werden soll, wo Menschen zu ertrinken drohen, drängt sich der Verdacht auf, die EU wolle Hilfe behindern und - schlimmer noch - Zeugen vom Ort ihres systematischen Versagens fernhalten.« Agenturen/nd
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