Scholl, Merkel und die Medien
Netzwoche
Wer im Fernsehen die Regeln mitbestimmen will, muss schon selbst über eine gehörige Portion Hausmacht verfügen. Zwei Beispiele von dieser Woche zeigen, wie unterschiedlich die Ergebnisse dabei sein können. Beispiel eins: Am 3. September kommt es zum TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz. Anders als 2009 (Merkel gegen Steinmeier) und 2013 (Merkel gegen Steinbrück) sollte es diesmal zwei TV-Duelle von je 45 Minuten geben - je eines für ARD und ZDF und eines im Kommerz-TV. Doch Merkel stellte sich quer und beharrte auf einem Block von 90 Minuten mit allen vier Fragestellern. Zu Beginn dieser Woche gaben ARD, ZDF, ProSiebenSat.1 und RTL nach; es bleibt beim 90-Minuten-Konzept.
Dass die Politik den Medien ein Konzept diktiert, ist zumindest fragwürdig. Da Merkel und ihre Partei über die Gründe nichts verlautbaren lassen, kann man nur spekulieren. Eine Spekulation liefert Stefan Winterbauer im Mediendienst meedia.de. »Offensichtlich wäre es Merkel ziemlich egal, bzw. vielleicht sogar ganz recht, wenn es zu gar keinem TV-Duell kommen würde. Ihre Umfragewerte sind wieder gut, sie liegt stabil vor Schulz (...) Beim TV-Duell hat Merkel nach ihrer Lesart höchstens etwas zu verlieren aber nichts zu gewinnen (...) Wenn sie sich im TV erklären möchte, sucht sich Merkel die Bühne, die ihr am besten passt, nämlich die ARD-Talkshow von Anne Will. Eine Live-Konfrontation mit einem rhetorisch beschlagenen Herausforderer ist ganz offensichtlich keine Situation, die sie sich herbeisehnt.« Als »befremdlich« bezeichnet es Winterbauer, dass bei den Verhandlungen zwischen den Sendern und Merkel nicht CDU-Vertreter, sondern Regierungssprecher Steffen Seibert und die Merkel-Vertraute aus dem Kanzleramt, Eva Christiansen, beteiligt waren.
Auf uebermedien.de hat Stefan Niggemeier noch eine andere Erklärung für Merkels Verhalten parat. Mit Verweis auf »SPD-Kreise« spekuliert er darüber, dass es der Bundeskanzlerin gar nicht darum gegangen sei, ihre Regeln bei dem Duell durchzusetzen, sondern ein Duell mit Schulz zu verhindern, »indem sie die Sender dazu bringt, es lieber abzusagen als auf die starrsinnigen Forderungen Merkels einzugehen«.
Beispiel zwei: Im Machtkampf mit der ARD unterlegen ist dagegen Mehmet Scholl. Der Ex-Fußballprofi arbeitet seit vielen Jahren bei Spielen der deutschen Fußballnationalmannschaft und bei großen Fußballturnieren als Co-Moderator für den Sender. Als die ARD während des vergangenen Sonntag zu Ende gegangenen Confed-Cups in Russland einen Bericht über die Doping-Vorwürfe gegen Spieler der russischen Nationalmannschaft senden wollte, protestierte Scholl. Laut Medienberichten fand er das »langweilig« und wollte »lieber über über die guten Leistungen der deutschen Mannschaft reden«. Doch die ARD beharrte auf dem Doping-Thema, worauf Scholl abreiste; für die letzten beiden Spiele des Wettbewerbs vertat ihn sein ehemaliger Nationalmannschaftskollege Thomas Hitzelsberger.
Auf 11.freunde.de bezeichnet Stefan Reich Scholls Verhalten als »rätselhaft«, dessen Meinung zum Thema Doping sei jedoch »hinlänglich bekannt«. »In der Vergangenheit sprach er Doping im Fußball immer wieder die Wirksamkeit ab«, so Reich. Scholl vermeide offenbar Situationen, in denen er zugestehen müsse, dass auch im Fußball gedopt werde. »Dass Scholl das Thema Doping im Fußball allerdings derart pikiert, dass er seine Moderationstätigkeit aufs Spiel setzt, um nicht darüber berichten zu müssen, ist zumindest irritierend«, so Reich abschließend.
Hinweise darauf, dass Scholl auch politische Gründe für seine Entscheidung gehabt haben könnte und er sich mit seiner Abreise dezidiert gegen ein »Russland-Bashing« ausgesprochen hat, gibt es nicht. Jens Berger spekuliert auf den russlandfreundlich eingestellten Nachdenkseiten jedoch in diese Richtung. Die Sportredaktionen der öffentlich-rechtlichen Medien würden bei der »tendenziösen Russland-Berichterstattung« oft eine »besonders unrühmliche Rolle« spielen, so Berger. Auch beim Confed Cup hätten ARD und ZDF »erwartungsgemäß nicht mit einseitiger Kritik an Russland« gespart. Es sei daher »mehr als verständlich, dass ARD-Experte Mehmet Scholl sich nicht zu einer Story einspannen lassen wollte, die (…) einzig und allein ins Programm genommen wurde, um Russland in ein schlechtes Licht zu rücken. Dass Scholl jedoch auch bis in die letzte Konsequenz standhaft blieb und dabei sicherlich auch finanzielle Einbußen und negative Auswirkungen auf seine TV-Karriere in Kauf nahm, ist indes beachtlich und verlangt Respekt.«
Dass es zu einem Karriereknick für Scholl kommen wird, ist indes unwahrscheinlich. Die ARD spricht mittlerweile von einer »Meinungsverschiedenheit« und Scholl selbst sagte einer Boulevardzeitung: »Es ist alles prima zwischen der ARD und mir. Ich freue mich auf die WM 2018«.
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