Links geht total anders
Der Wahlkampf hat bei G20 und in Hamburg viel neue Nahrung bekommen, meint René Heilig
Der G20-Gipfel ist beendet, die Staatschefs wieder daheim. Keine und keiner hat das Gesicht verloren. Auch wenn niemand aus Hamburg mitnehmen konnte, was sie oder er sich erhoffte. Doch es ist nicht zuletzt deutschen Diplomatengeschicks zu danken, dass es nicht schlimmer kam. Jene, die mit guten Gründen und auch mit alternativen Vorschlägen gegen den Gipfel und seine Art Problemlösung von oben herab protestierten, müssen sich in ihrer Weltsicht bestärkt fühlen.
Die Debatten werden weitergehen, in Deutschland eingebettet in den Wahlkampf. Man kann sicher sein: Merkel wird bis weit in den September hinein gepriesen als die kluge Weltpolitikerin, um die sich die letzten halbwegs vernünftigen Regenten der Welt sammeln. Macron und Trudeau beispielsweise. Auch Putin stärkt den Kurs der Kanzlerin über weite Strecken.
Man wird betonen, wie erfolgreich sich Merkel um Afrikas Probleme kümmert. Sogar Trump hat, letztlich überzeugt von seiner Tochter, zugestimmt, dass man mehr tun muss gegen die doppelte Unterdrückung der Frauen dieses Kontinents. Merkel hat tapfer das Pariser Klimaabkommen verteidigt und sie sorgt mit Kräften dafür, dass der Ausfluss deutschen Wirtschaftens ungehemmt über kontinentale Grenzen fließt.
Was also kann der Union im Wahlkampf mehr nutzen, als dieses Bild eines global wichtigen Deutschlands möglichst lange aufrecht zu erhalten? Die Kehrseite zeigt: Anarchie, die pure Lust am Brandschatzen, plündern, schlagen und zerstören. Motto: Wollt ihr Hamburg auf Ewigkeit? Dann wählt links! Denn von dort geht die Gefahr für den Rechtsstaat und all das aus, was sich fleißige Frauen und Männer in ihrem Leben mühsam erarbeitet haben. Gegen diese Anarchie haben Merkel & Co. das Volk in Hamburg so gut es ging beschützt. Und so twitterte ihr Kanzleramtsminister Peter Altmaier denn schon am Samstagvormittag: »Linksextremer Terror in Hamburg war widerwärtig und so schlimm wie Terror von Rechtsextremen und Islamisten. Danke Polizei. Danke Hamburg.«
Das ist die Stoßrichtung der kommenden Wochen. Auch andere CDU-Leute übernahmen den Duktus bereits und wollen alles, was aus ihrer Sicht linksalternativ sein könnte, hinwegfegen. Medien verschiedenster Ausrichtung machen sich das zueigen. »Wer stoppt den linken Hass?«, titelte »Bild«. Bundesweite Forderungen nach Untersuchungsausschüssen schwirren durch politische Foren. Das Verlangen nach schärferen Gesetzen ist noch verhalten. Erstens gibt es die bereits und zweitens sind die Parlamente im Sommerurlaub, die Regierung kann also auch so weitgehend und problematisch unkontrolliert schalten und walten.
Kritik an den wahrlich nicht optimalen Einsätzen der Sicherheitskräfte in Hamburg lässt sich kanalisieren. Allen Unmut kann man Olaf Scholz (SPD), dem Erste Bürgermeister, und seinem rot-grüner Senat anlasten. Mit dem unausgesprochen Nachsatz: Davon könnt ihr mehr haben, wenn ihr den Wahlzettel falsch ankreuzt. Und: Nicht Scholz, Merkel versprach den Betroffenen Entschädigungen.
Umso deutlicher ist zu fragen: Was ist an den Chaosaktionen von Hamburg links? »Ihr plündert und zerstört für eine gerechte Welt?«, fragte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch per Twitter und gab den Randalebrüdern auch gleich die richtige Antwort: »Ihr schadet dem so notwendigen friedlichen, bunten Protest.« Zuvor hatte sich die Linksparteichefin – von totaler Vorahnungslosigkeit im fernen Berliner Parteiquartier geleitet – pauschal vor alle Hamburger Protestierer gestellt, indem sie ausschließlich die Polizei für eine mögliche Eskalation verantwortlich gemacht hat, weil die marodierend durch Straßen ziehe und Menschen, schikaniere, die Bier trinken.
Auch wenn später korrigiert: Angesichts solcher Reflexe wird es schwerer, Menschen und Wähler davon zu überzeugen, dass die eigentlichen Probleme nicht im Hamburger Schanzenviertel, sondern am Verhandlungstisch versammelt waren. An dem hatten – wie gewohnt – nur die Großen und Mächtigen einen Platz. Von ihnen geht mehr Gewalt aus, als sie jeder schwarze Block in der Welt je ausüben kann. Die G20 sind für die Armut von Millionen und den gierigen Reichtum weniger verantwortlich. Die stehen oft genug für Tod, Hunger, Bildungsmangel und Ertrinken an der Mittelmeergrenze.
Seit der vergangenen Woche gibt es im bislang eher langweiligen Wahlkampf echte Streitthemen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.