Wo der Hass hinführt
Rund 60 Imame beteiligen sich am »Marsch der Muslime« / Auftakt in Berlin
Die Augen von Hocine Drouiche werden feucht, während er spricht. »Dies ist ein sehr schwieriges Projekt. Viele von uns wissen nicht, was mit ihnen passieren wird, wenn sie zurück nach Hause kehren. Einige von uns werden möglicherweise ihre Arbeit verlieren. Manche werden nicht mehr in arabische Länder einreisen können.« Drouiche ist Imam im französischen Nimes. Gemeinsam mit rund 60 islamischen Geistlichen aus verschiedenen europäischen Ländern startete er am Sonntag in der Berliner Gedächtniskirche den »Marsch der Muslime gegen den Terrorismus«. Die Imame sehen sich als Friedensbotschafter und wollen ein Zeichen setzen gegen den Terror, der im Namen ihrer Religion begangen wird. Drouiche hatte in den vergangenen Jahren immer wieder europäische Muslime aufgefordert, die Werte der Länder zu akzeptieren, in denen sie leben. Nach dem Attentat von Nizza im Juli 2016 war er von seinem Amt als Vizepräsident der Imam-Konferenz Frankreichs zurückgetreten.
Die Gedächtniskirche beteiligte sich an der Initiative, weil das Thema »uns ständig bewegt«, sagte Pfarrer Martin Germer. Nämlich seit direkt neben der Kirche der Attentäter Anis Amri mit einem Lkw auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gefahren und zwölf Menschen getötet hatte.
Auf der Auftaktkundgebung am Sonntagmittag sagte Mohamed Taha Sabri, Vorsitzender der Neuköllner Begegnungsstätte und Imam der Dar-Assalam-Moschee in der Flughafenstraße: »Es gibt keinen islamischen Terrorismus. Es gibt nur Terroristen, die den Islam für ihre Zwecke missbrauchen.« Die übrigen Sprecher pflichteten ihm mit ähnlichen Worten bei. Terrorismus sei in keiner Weise durch den Koran gedeckt, sagte einer. Dort stehe stattdessen geschrieben, wer einen Menschen töte, töte die gesamte Menschheit. Menschen, die im Namen des Islam Terrorismus begingen, sorgten dafür, dass sich gemäßigte Muslime immer mehr von »der schönen Kultur des Islam« entfernten, sagte ein anderer.
Initiiert wurde der Marsch der Muslime von Hassen Chalghoumi, Imam einer Moschee im Pariser Vorort Drancy. Dort war einer der Attentäter aufgewachsen, der im November 2015 im Pariser Konzertsaal Bataclan Dutzende Menschen niederschoss. Chalghoumi initiierte den Marsch gemeinsam mit Marek Halter, einem polnisch-französischen, jüdischen Schriftsteller. »Ich weiß genau, wo der Hass hinführt«, begründete Halter in der Berliner Gedächtniskirche seine Teilnahme als Jude am Marsch der Muslime. Halter berichtete, dass sich der Hass von Extremisten bereits gegen einige Teilnehmer des Marschs richte: Viele von ihnen hätten Morddrohungen erhalten, weil sie sich an der Aktion beteiligten. »Aber ihnen ist das Zeichen der Liebe wichtiger als der Tod.« Für Halter ist der Marsch auch deshalb wichtig, weil die Muslime diejenigen sein müssten, die von Muslimen begangenen Terrorismus bekämpfen.
Auch Sawsan Chebli (SPD), Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales des Berliner Senats, hielt auf der Kundgebung der Imame eine kurze Ansprache. »Das hier ist ein ganz starkes Zeichen«, sagte sie. »Ein Zeichen, auf das viele gewartet haben.« Sie berichtete von einem Gespräch, das sie kürzlich mit ein paar jungen Muslimen geführt habe. Die Jugendlichen seien es leid gewesen, sich ständig für den islamischen Terror entschuldigen zu sollen. Chebli habe ihnen gesagt: »Doch, das müsst ihr tun.« Die Terroristen handelten schließlich nicht im Namen des Christentums oder einer anderen Religion, sondern im Namen des Islams. Und da sei es wichtig, sich vom Terrorismus zu distanzieren. »Ich bin auch Muslima«, fügte sie hinzu.
Die zweite Station des Marsches der Muslime ist am Montagvormittag Brüssel, am Abend Saint-Etienne-du-Rouvray in der Normandie. Am Dienstag sollen die Imame in Paris unter anderem von der Bürgermeisterin Anne Hidalgo empfangen werden. Am Mittwoch werden sie in Toulouse erwartet, am Donnerstag in Nizza. Am Freitag endet die Reise in Paris.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.