Menschen zwischen gestern und morgen

»Next Stage Europe« stellt in Potsdam neue Theaterstücke aus Ländern der »Östlichen Partnerschaft« vor

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Zahlreiche Formen zur Aneignung neuer Dramatik gibt es. Autorentheatertage und verschiedene Leseveranstaltungen haben uns nicht nur neue deutsche Stücke, sondern auch dramatische Versuche aus anderen europäischen Ländern, aus Afrika und Südamerika näher gebracht. In Kooperation mit dem Auswärtigen Amt, dem Goetheinstitut und dem Literaturfestival Potsdam richtet nun das Hans-Otto-Theater Potsdam den Blick auf neue Stücke aus Georgien, Armenien, Aserbaidschan - jenen Ländern, die in der Diplomatensprache als »Östlichen Partnerschaft« firmieren.

Neu ist nicht nur die territoriale Begrenzung der Auswahl, sondern sind auch die Vorbereitung der Lesungen und die Präsentation der Texte. Junge, in Deutschland bereits bekannte Dramatiker wie Olga Grjasnowa oder Mario Salazar sind im Vorfeld in die Heimatländer der Autoren gefahren und haben zusammen mit ihnen die Stücke fertiggestellt und für die deutschen Theaterspielpläne aufbereitet. Mit den zur Lesung vorgesehenen Stückeschreibern sind renommierte Kritiker und Theaterwissenschaftler nach Potsdam gekommen, um Einblicke in die Besonderheiten der jeweiligen Theaterlandschaften geben zu können.

Die Autoren sind 23 bis 45 Jahre alt, haben an künstlerischen Lehranstalten ihrer Länder wie der Rustaweli-Universtität von Tbilissi studiert und Preise wie die »Goldene Feder« gewonnen. In ihren Stücken, die in Auszügen in Potsdam von Potsdamer Schauspielern gelesen wurden, spiegelt sich die konfliktreiche Gegenwart ihrer Heimat. Bruchstellen brechen auf: zwischen verhängnisvoll nachwirkender Vergangenheit und ansatzweise erahnbarer Zukunft, zwischen Resignation und Hoffnung, zwischen Vergangenheitsbewältigung und -verdrängung. Menschen aus dem Niemandsland zwischen gestern und morgen treten uns entgegen. In »Das Jahr ohne Sommer« von der armenischen Autorin Anusch Kocharyan geraten Protagonisten aus Vergangenheit und Gegenwart aneinander. Der 42-jährige Jean war einst ein Held des Widerstands und ist nun ein anerkannter Werbefachmann in den USA. Ein Verleger will seine Texte von damals drucken, verlangt aber von ihm eine schriftliche Lobpreisung der heutigen Zustände in der Heimat. Der Verleger wehrt sich gegen den Vorwurf, ein Günstling der neuen Ordnung zu sein und will die ihm anvertrauten Güter gerecht verteilt haben. Hinzukommt der heutige Innenminister, ein offensichtlicher Verräter der damaligen Revolution, und will Jean eine Erklärung abzwingen, er habe damals aus freien Stücken den Widerstand abgebrochen. Um die tastende Suche nach dem unwiderlegbaren Gedächtnis, bezeichnet als die »Fünfte Jahreszeit«, geht es auch in dem Stück »Schauspielerin, die ihre Haare verkauft« von Orxan Bahardizade - ebenso um die Enttäuschung über die durchschlagende Wirkungslosigkeit der Kunst.

Eine 65-jährige ehemals berühmte Schauspielerin ist von schwerer Krankheit heimgesucht und braucht zur Finanzierung einer Chemotherapie Geld, das sie sich mit dem Verkauf ihrer Haare beschaffen will. Sie erinnert sich wehmütig an ihre Rollen, die sie mit diesen Haaren gespielt hat, an die Julia und die Luise, die Kleopatra und die Mary Tudor. Das aber ist vergessen, eine junge Geschäftsfrau sieht in den Haaren nur den rein materiellen nicht aber ihren ideellen theatergeschichtlichen Wert. Trotzig verbrennt die Alte ihren Haare. Mit ihrer Enttäuschung korrespondierte die Erzählung der mitgereisten ossetischen Dramatikerin Karina Besoldi, die ein Stück über die opferreiche Befreiung der Geiseln von Beslan geschrieben hat und auf Ignoranz und Ablehnung des Publikums gestoßen ist. Von Schauspielern gelesen wurde im Rahmen der Potsdamer Veranstaltung auch das Stück »Der 13. des Brachmonats« von Guram Matskonashwili, ein Stück, das an den Tag einer gewaltigen Überschwemmung in Tbilissi erinnert. Opfer von damals erwachen zum Leben und versuchen eine Verständigung, die ihnen damals noch verwehrt geblieben ist. Das Personal des Stücks ist bemerkenswert. Neben realen Figuren sitzen Figuren aus der Theatergeschichte. Ein antiker Dichter notiert die Gespräche, ein antiker Chor verliest Verlautbarungen. Diese Suche nach der ungewöhnlichen Form scheint ein Grundzug der neuen Dramatik dieser Länder zu sein.

Die lesenden Potsdamer Schauspieler hielten sich, am Tisch sitzend, auf angenehme Weise zurück, begnügten sich mit gestischen Andeutungen. In Erinnerung aber wird Rita Feldmeier bleiben, die der Frau, die ihre Haare verkaufen will, im jähen Wechsel Züge von tiefempfundener Trauer und trotzigem Aufbegehren verlieh.

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