Aus Trümmern soll Trost steigen

Die Befreiung vom irakischen Mossul und die Waffenruhe in Syrien sind trügerisch

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Iraks Ministerpräsident Haider al-Abadi lächelte, als er sich am Sonntag in einem Stadtteil von Mossul zeigte, Menschen die eine Hand gab, während die andere Hand die irakische Fahne hielt. Im Staatsfernsehen waren derweil immer wieder Bilder von feiernden Soldaten, Zivilisten zu sehen. »Die glorreiche Allianz aus Militär und Volksmobilisierungseinheiten und militärischen Kräften der autonomen Region Kurdistan hat einen wichtigen Sieg auf dem Weg zur Widerherstellung der Einheit der Landes errungen«, teilte die Pressestelle der irakischen Regierung mit. Und Abadi dankte der US-Regierung, die den seit Oktober währenden Kampf um Mossul mit Luftangriffen und als »Militärberater« deklarierten Spezialkräften unterstützt hatte: »Gemeinsam haben wir diesen Kampf gewonnen, und die Entwicklungen in Syrien zeigen mir, dass wir mit vereinten Kräften den Krieg endgültig gewinnen können.«

Im Nachbarland gilt seit Sonntag in den zwischen Damaskus, den israelisch besetzten Golanhöhen und Jordanien liegenden Regionen Daraa, Kuneitra und Suweida die Waffenruhe, die US-Präsident Donald Trump und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin nach einem Treffen während des G20-Gipfels in Hamburg bekannt gegeben hatten. Nach Angaben des US-Militärs wurde die Waffenruhe am Montag »weitgehend« eingehalten.

Aber: Der Schein des Erfolgs in Irak und Syrien trügt; Besserung, gar eine Lösung sind in weiter Ferne. In der kasachischen Hauptstadt Astana ging in der vergangenen Woche eine Syrien-Konferenz, bei der über Wege der Deeskalation beraten wurde, weitgehend ergebnislos zu Ende; in Genf begann am Montag eine Runde, die nach politischen Lösungen suchen soll. Doch sind die Hoffnungen gering.

In Irak indes geht der Vormarsch gegen den Islamischen Staat (IS), dank der militärischen Unterstützung durch die USA, tatsächlich voran. »Das Problem für uns ist aber, dass wir den IS nicht besiegen, sondern nur verdrängen«, sagt Khaled al-Obaidi, 2014 bis 2016 Verteidigungsminister. »In Mossul sind vielleicht noch ein paar Dutzend IS-Kämpfer übrig. Aber dafür tauchen Hunderte jetzt in Bagdad, Basra oder in Syrien auf.« Und machen dort die Straßen noch unsicherer: Bei einem Anschlag in Bagdad, einem aus einer langen Serien in den vergangenen Monaten, wurden am Wochenende mehr als 60 Menschen getötet. Mindestens 30 weitere starben bei Angriffen von IS-Kämpfern in Kleinstädten.

Vor allem in Kairo und Amman beobachtet man diese Entwicklung sehr genau: Man befürchtet, dass IS-Angehörige in großer Zahl über die Grenze nach Jordanien gelangen, dort Anschläge verüben, oder per Schiff auf die Sinai-Halbinselkommen, wo sich Ägyptens Militär und ein örtlicher Ableger des IS namens Wilajat Sinai seit Jahren bekämpfen. Am Wochenende wurden dort 26 Soldaten bei einem Anschlag getötet.

»Wir brauchen dringendst eine gemeinsame internationale Strategie für Syrien und Irak, wenn wir nicht wollen, dass noch mehr Länder in den Strudel der Gewalt gerissen werden«, sagt Jordaniens Regierungschef Hani al-Mulki am Montag. Wochenlang hatten seine Diplomaten zusammen mit Kollegen aus Russland und den USA mit den Konfliktparteien über eine Waffenruhe verhandelt. Doch statt einem, so Mulki, »unübersehbaren Signal, einer Demonstration der Einheit« kam dabei am Ende gerade einmal der »kleinste gemeinsame Nenner« heraus: Ein Waffenstillstand in einer Region, die vor allem von westlich unterstützten Rebellengruppen, von russisch unterstützten Regierungstruppen und von der unter dem Dach von Al-Qaida aktiven Hajat Tahrir al-Scham kontrolliert wird. Es sei das Gebiet, in dem die Differenzen zwischen USA und Russland am wenigsten zu Tage treten, sagt Daniel Rubinstein, der 2014 und 2015 US-Sondergesandter für Syrien in Damaskus war. »Auf andere Gebiete in Syrien wird sich das nicht übertragen lassen, bevor sich alle Beteiligten über die politische Zukunft des Landes einig werden.«

Derweil haben Irans Revolutionsgarden den Kampf um Mossul genutzt, sich über erweiterte Unterstützung für die schiitischen Volksmobilisierungseinheiten, die auf Seiten der Regierung kämpfen, ein Standbein in Irak zu verschaffen, und in Syrien hat die von Iran unterstützte Hisbollah ihre Präsenz ausgeweitet.

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