Entzug von G20-Akkreditierungen: Steckt die Türkei dahinter?
Bundespresseamt weist Vorwürfe zurück / Mehrere betroffene Kollegen hatten vorher Probleme mit türkischen Behörden / Politiker fordern Aufklärung
Update 17.10 Uhr: Bundespresseamt weist Vorwürfe zurück
Das Bundespresseamt hat inzwischen Stellung zu den Vorwürfen genommen. »Zwischen Ablauf des Akkreditierungsverfahrens und Beginn des Gipfels benannten die Sicherheitsbehörden bezüglich 32 Medienvertretern Sicherheitsbedenken, die ausschließlich aus eigenen Erkenntnissen deutscher Behörden resultierten«, heißt es darin. »Diese Bedenken mussten vom Bundespresseamt ernstgenommen werden und hatten demnach Einfluss auf die bereits erteilten Akkreditierungen. Das Bundespresseamt entschied daher, auf Anraten und in Absprache mit dem Bundeskriminalamt, diesen Personen die Akkreditierung zu entziehen. Tatsächlich wurde dann neun Medienvertretern die Akkreditierung entzogen. Die übrigen 23 Medienvertreter sind im Weiteren nicht mehr am Medienzentrum erschienen.«
Entzug von G20-Akkreditierungen: Steckt die Türkei dahinter?
Berlin. Nach dem Entzug von Journalisten-Zulassungen zum G20-Gipfel wird der Verdacht immer lauter geäußert, dass womöglich Informationen türkischer Sicherheitsbehörden Anlass für die Entscheidungen gegen die Medienvertreter gewesen sein könnten. Zuerst hatte dies die ARD berichtet. Danach waren mindestens zwei Journalisten auf der Schwarzen Liste aufgetaucht, die im Oktober 2014 kurzzeitig in der Türkei festgenommen worden waren, als sie die Gefechte um die syrische Grenzstadt Kobane fotografiert hatten.
Beide Kollegen hatten danach zunächst nie ein Problem bei der Akkreditierung hierzulande. »Damit steht nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Experten der Verdacht im Raum, dass die vermeintlich ‚neuen‘ Erkenntnisse gar nicht vom BKA, sondern vom türkischen Geheimdienst kamen«, so die ARD. Inzwischen ist von drei weitere Journalisten die Rede, denen die G20-Akkreditierung entzogen wurde und die »vorher Probleme mit türkischen Behörden« hatten, wie ein Kollege der »Tageszeitung« berichtet.
G20: Kritik an Übergriffen auf Journalisten
Pfefferspray-Attacken und Schlagstockeinsätze gegen Medienvertreter / Neun Presseakkreditierungen eingezogen, 23 Namen auf ominöser Liste
In der Politik werden nun die Rufe nach Aufklärung immer lauter. Grünen-Parteichef Cem Özdemir witterte einen »Skandal erster Güte« und erklärte: »Wenn sich bewahrheitet, dass mithilfe von Schwarzen Listen Journalisten während des G20-Gipfels die Akkreditierung entzogen wurde, wäre das ein unglaublicher Vorgang«.
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte, »hier geht es um einen schwerwiegenden Eingriff in Pressefreiheit und Datenschutz der betroffenen Journalisten«, sagte von Notz am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. »Bei der nachträglichen Entziehung von Presseakkreditierungen handelt es sich um einen hochproblematischen Vorgang.« FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki drohte am Dienstag sogar mit einem Untersuchungsausschuss. »Der schlimme Verdacht, dass Interventionen des türkischen Geheimdienstes zum Entzug von Akkreditierungen beim G20-Gipfel geführt haben sollen, muss schnellstmöglich und umfänglich aufgeklärt werden«, forderte Kubicki.
Beim G20-Gipfel in Hamburg wurde nach Angaben der Bundesregierung neun Journalisten nachträglich die Akkreditierung entzogen. Als Grund nannte Regierungssprecher Steffen Seibert »Sicherheitsbedenken«. Insgesamt hätten diese 32 Menschen betroffen – es hat sie aber offenbar vorher nicht gegeben, denn zunächst hatten alle eine Berechtigung für die Berichterstattung vom G20-Gipfel erhalten. Während der Gipfeltage hatten Polizisten am Ein- und Ausgang zum Pressezentrum die Journalisten kontrolliert. Sie verglichen dabei die Namen auf den speziellen G20-Ausweisen mit einer zweiseitigen Schwarzen Liste.
Bundespresseamt und Bundesinnenministerium müssten erklären, wie es zu »diesem seltsamen Sinneswandel gekommen ist«, erklärte Kubicki weiter. »Wir wollen in Bezug auf die Pressefreiheit definitiv keine türkischen Verhältnisse in Deutschland. Sollte sich der Verdacht nicht ausräumen lassen, behalten wir uns vor, dieses Thema nach der Bundestagswahl im Rahmen eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses aufzuklären«, erklärte Kubicki.
Seibert erklärte im Kurzbotschaftendienst Twitter: »Ich kümmere mich intensiv darum, dass alle Fragen zügig beantwortet werden.« Der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel fügte hinzu, die Pressefreiheit sei für ihn und sein Amt »ein hohes Gut«. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar kritisierte in der ARD den offenen Umgang mit diesen Listen: Er sprach von »Sperrlisten, die als Handzettel quasi offen einsehbar kursieren« und einen »diskriminierenden Charakter« hätten.
Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband spricht von einem »ungeheuren Verdacht«. Hat »der Pressefeind Erdogan indirekt darüber entschieden, welchen Journalisten die Akkreditierung entzogen wurde?«, heißt es in seinem Kommentar zu dem Vorgang. Das Bundeskriminalamt »muss wohl noch mehr Fragen beantworten«. Bereits am Tag zuvor hatte der Verband an die Spitze des Bundeskriminalamtes Fragen adressiert. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.