Werbung

Luthers Randglossen und gleich vier Gelehrtenbibliotheken

Sachsen-Anhalt: Unweit der Marienkirche in Halle/Saale kann der Bücherfreund eine verborgene Schatzkammer entdecken

  • Wolfgang F. Salzburg, Halle
  • Lesedauer: 3 Min.

An der Südseite der halleschen St. Marienkirche, oder der Marktkirche Unser Lieben Frauen, wie sie heute genannt wird, befindet sich die Marienbibliothek. Den Passanten, die in Richtung Hallmarkt gehen, bleibt dieses Kleinod der Stadt Halle (Sachsen-Anhalt) verborgen. Es befindet sich im Hof der Pfarrhäuser, die den Straßenrand säumen.

Nur eine kleine Tafel weist vor Ort auf die Bibliothek hin. Gegründet im Jahr 1552 durch den Oberpfarrer Sebastian Boetius, kann sie in diesem Jahr auf eine 465-jährige Geschichte zurückschauen. Doch es ist nicht allein die Zeit, die sie so bedeutend macht: Sie ist die älteste und größte Präsenzbibliothek, also ohne Ausleihe, in Deutschland, die ununterbrochen und öffentlich zugänglich war und heute noch ist.

Bis zur Gründung der Universitätsbibliothek 1696 war die Marienbibliothek die einzige öffentliche Büchersammlung der Stadt und wurde von Studenten und Professoren der 1694 gegründeten Universität rege genutzt. Selbst lange nach Einrichtung der Universitätsbibliothek kamen die Professoren noch in die Marienbibliothek und beriefen sich allzu gern auf das 1697 erteilte kurfürstliche Nutzungsprivileg.

Heute umfasst der Bibliotheksbestand rund 38 000 Bände, die vorwiegend in der Zeit des 15. bis 18. Jahrhundert erworben wurden oder als Schenkungen in den Besitz der Marienbibliothek gelangten. Darunter befinden sich 430 Inkunabeln. Das sind sogenannte Wiegendrucke - sie bezeichnen die zwischen Fertigstellung der Gutenberg-Bibel im Jahr 1454 und dem 31. Dezember 1500 mit beweglichen Lettern gedruckten Bücher und Einblattdrucke.

289 Handschriften, 227 Urkunden aus dem 13. bis 18. Jahrhundert, eine umfangreiche Sammlung von Flugschriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert und Bibeldrucke ergänzen diesen bedeutenden Bestand. In zwei Bibeln aus den Jahren 1534 und 1541 sind sogar Anmerkungen Martin Luthers zu sehen. Diese zeigen wie intensiv Luther sich mit diesen Werken beschäftigt hatte und was ihm damals wichtig war.

»Und das ist noch nicht alles«, bemerkt Anke Fiebiger, Leiterin der Sammlung, mit sichtlichem Stolz. Damit verweist sie auf die vier umfangreichen und geschlossen erhalten gebliebenen Gelehrtenbibliotheken, die sich im Fundus der Marienbibliothek befinden. Sie repräsentieren einen Querschnitt durch fast alle Wissensgebiete und sind im 17. und 18. Jahrhundert, meist als Schenkungen, in den Bestand gelangt. Sie stammen von Friedrich Hoffmann (1660-1742), Medizinprofessor und Erfinder der Hoffmannstropfen, von Johann Christlieb Kemme (1738-1815), der bereits im Alter von 28 Jahren außerordentlicher Professor für Medizin war und 1767 Mitglied der Akademie der Naturforscher Leopoldina wurde, von Christian Gottlob Zschackwitz (1720-1767), Jurist in Halle, und von Joachim Oelhafen (1603-1690), Jurist am halleschen Schöppenstuhl und Wohltäter. Auch Karl Christian Lebrecht Franke (1796-1879), der als Pfarrer von St. Marien und Theologieprofessor an der halleschen Universität sowie als Superintendent wirkte, hinterließ eine umfangreiche Pfarrbibliothek aus dem 19. Jahrhundert.

Heute kommen rund tausend Besucher im Jahr, um sich der Atmosphäre hinzugeben, die einen ergreift, sobald man die Bibliothek betritt. Vor Ehrfurcht mag man sich nur auf Zehenspitzen durch die Räume bewegen und sich im Flüsterton unterhalten. Es ist einfach die Aura, die über allem liegt - eine spürbare Metamorphose von Wissen und die Biografien, die jedes dieser Bücher mitgebracht hat.

Eine Kabinettausstellung erinnert an das Jubiläum der Marienbibliothek und lädt noch bis zum 30. Oktober 2017 zu einem Streifzug durch ihre Geschichte ein. Angesichts der herausragenden Bedeutung der Bibliothek ist das dann doch eher ein stille Andacht.

Die Besichtigung der Marienbibliothek in Halle/Saale, An der Marienkirche 1, ist nur im Rahmen von Führungen möglich. Öffentliche Führungen: Mai bis Oktober jeden 2. und 4. Montag des Monats 17 Uhr. Gruppenführungen können ganzjährig unter info@marienbibliothek-halle.de oder 0345-5170893 angemeldet werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -