Merkel und Macron rüsten die EU hoch

Wie Frankreich und Deutschland die Partnerschaft der beiden Länder im Militär- und Rüstungsbereich auf eine neue Stufe heben

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

Man erinnert sich kaum: Da soll mal etwas gewesen sein mit dem Sturmgewehr der Bundeswehr. Wenn es warm wird, schießt das G36 angeblich nicht mehr geradeaus. Ursula von der Leyen (CDU), die für Verteidigung zuständige Ministerin, erklärte im Frühjahr 2015: »Dieses Gewehr, so, wie es konstruiert ist, hat in der Bundeswehr keine Zukunft.« Sie wollte ein Exempel statuieren, damit die Industrie in Gänze nicht länger in dem Glauben lebt, sie könne dem Militär jeden Mist andrehen.

Heute spricht man kaum noch darüber. Irgendwann wird es auch ein neues Sturmgewehr geben und vermutlich stammt es wieder von Heckler&Koch, dem Hersteller des G36. In dessen Werkhallen wird längst ein Nachfolgemuster gebaut. Das HK 416 hat eines allen Konkurrenzmustern voraus: Es wurde von den US-Navy-Seals bei »Neptune Spear« eingesetzt. Das war jene Operation, bei dem man den Al-Qaida-Fürsten Bin Laden »erlegte«. Andere Armeen haben die Vorzüge des HK 416 bereits begriffen. Erst im Mai übernahm Frankreich ein erstes Los dieser Waffe. Bei der Parade zum Nationalfeiertag am 14. Juli wurde sie auf der Champs-Elysées vorgezeigt.

100.000 sollen in den kommenden Jahren hinzukommen. Ein Geschäft für Heckler&Koch, doch im Vergleich zu dem, was bei der Sitzung des Deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates vor rund einer Woche zur Kooperation im Rüstungsbereich vereinbart wurde, ist die Position Gewehre total untergeordnet.

Man will Landsysteme der nächsten Generation, das heißt Kampfpanzer- und Artilleriesysteme entwickeln. Es geht um neue Seeaufklärungssysteme. Dass Frankreich und Deutschland gemeinsam mit Spanien und Italien eine sogenannte Eurodrohne entwickeln, die selbstverständlich Raketen und Bomben ins Ziel bringen wird, ist bekannt. Geplant ist nun aber auch ein neues deutsch-französisches Kampfflugzeug. Das wäre das größte derzeit vorstellbare EU-Rüstungsprojekt. Bis Mitte 2018 soll ein gemeinsamer »Fahrplan« dafür vorliegen.

Im Bereich Hubschraubertechnik wird die Zusammenarbeit fortgesetzt. Neuen orbitalen Herausforderungen stellen sich beide Staaten bei der militärischen Raumfahrt. Nicht minder anspruchsvoll ist die digitale strukturierte Zusammenarbeit zwischen den beiden Cyberkommandos.

Es geht bei allem nicht nur um die Fortführung dessen, was ist. Man setzt strategische Zielmarken. So werden Frankreich und Deutschland generell eine engere Zusammenarbeit bei Forschung und Technik im Verteidigungsbereich fördern. Mit dem Ziel »einer größtmöglichen gemeinschaftlichen Finanzierung und der Vermeidung von Konkurrenz zwischen unseren beiden Ländern« setzt man gemeinsame Prioritäten, die im Rahmen der neuen sogenannten Europäischen Vorbereitenden Maßnahme und des künftigen Europäischen Verteidigungsforschungsprogramms gestemmt werden sollen, liest man in der gemeinsamen Erklärung. In der auch von einer gemeinsamen Strategie in der Dual-Use-Forschung, einschließlich solcher Bereiche wie künstliche Intelligenz, Robotik oder Quantencomputing die Rede ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron haben die Partnerschaft der beiden Länder im Militär- und Rüstungsbereich auf eine neue Stufe gehoben. Das M & M-Übereinkommen hat weitreichende Folgen für die Politik und die Industrie in Europa. Ohne den Begriff Kerneuropa zu nennen, machen die Staatenlenker den deutsch-französischen Führungsanspruch innerhalb der EU deutlich.

Berlin und Paris erwarten, nachdem sie quasi in Vorleistung gegangen sind, dass andere Länder folgen und sich an dem einen und dem anderen Projekt beteiligen. Denkbar wäre eine engere Zusammenarbeit mit Spanien, man könnte versuchen, das rüstungserfahrene Schweden an einer Mitarbeit zu interessieren. Ganz kühne Vorstellungen reichen bis zur Einbeziehung von Japan.

Nicht nur deshalb ist die deutsch-französische Übereinkunft eine Kampfansage an die USA. Die versuchen stärker denn je und Kraft ihrer NATO-Bedeutung beim strategischen Rüstungsexport Dominanz zu zeigen. Das und die hochmütige Art des neuen US-Präsidenten, mit der er versuchte, allen anderen NATO-Staaten eine pure Vasallenrolle aufzudrücken, erreichte er das Gegenteil. Die beiden wichtigsten kontinentalen Alliierten Washingtons wurden so zu Treibern für eine bislang unvorstellbare Kooperation im EU-Rüstungsbereich. (West-)Europe first! Man will nicht nur Käufer von Black-Box-Produkten »Made in USA« sein, sondern selbst einen gehörigen Anteil vom Rüstungskuchen haben. Dass der wächst, ist auch Verdienst der US-Regierung. Die fordert schließlich von den NATO-Staaten, jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär auszugeben.

Auch Großbritannien ist von dem deutsch-französischen Programm betroffen. Von der Insel waren immer wieder Angebote für eine stärkere Rüstungskooperation über den Ärmelkanal hinweg gesandt worden. Die getroffene deutsch-französische Entscheidung ist auch ein ablehnender Bescheid der in der EU verbleibenden Atommacht Frankreich.

Doch weder bei den Regierungen in Berlin noch in Paris, geschweige bei interessierten Rüstungskonzernen ist Platz für Euphorie. Zu viele gemeinsame Projekte der bisherigen deutsch-französischen Rüstungskooperation scheiterten an nationalen Interessen. Man feilschte um Produktionsstandorte. Entsprechend einseitig national rüstete man die beiden Armeen aus. Ein Paradebeispiel ist der Kampfhubschrauber »Tiger«. Obwohl äußerlich fast identisch, unterscheidet sich die deutsche von der französischen Variante erheblich. Lange Verzögerungen und enorm gesteigerte Kosten sind die Folge. Der A400M-Militärtransporter von Airbus - der Konzern wird wesentlich von Frankreich und Deutschland getragen - macht gleichfalls wenig Mut auf multinationale Projekte. Auch wenn man sich nunmehr auf höchster Ebene auf wesentliche Bereiche der Zusammenarbeit geeinigt hat - es bleiben genügend Felder, auf denen sich Deutschland und Frankreich als Konkurrenten erbittert bekämpfen. Man muss nur an den U-Boot-Bau erinnern.

Noch ist in Deutschland Wahlkampf. Der Koalitionspartner der Union, die SPD, macht mit markigen Worten wider den Rüstungsirrsinn Reklame. Das Zwei-Prozent-Ziel wird verteufelt. Daran ist aus Oppositionssicht nichts falsch, doch: Wer auch immer demnächst mit der Union ins Regierungsbett kriecht, wird gemeinsam mit ihr einen extremen Ausbau der deutschen Rüstungspolitik vorantreiben. Denn das ist eine Voraussetzung für die angestrebte europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dazu gehört dann die Neubestimmung der Rüstungsexportpolitik. Gemeint ist eine Senkung letzter Restriktionen und Kontrollen.

Denn trotz gigantischer Etatsteigerungen - nur durch Massenproduktion, also auch den Export, werden die Systemkosten der Rüstungsprodukte so gedrückt, dass sie bezahlbar bleiben. Die Folge des Irrsinns: Man wird weiter all das in die Welt exportieren, was Krisen und Kriege erzeugt. Weshalb Menschen in das noch sichere Europa fliehen und die EU mehr Waffen und Gerät ordert, um die Festung Europa zu verteidigen. Wer an dem Kreislauf verdient, ist ebenso klar wie die Herkunft des Geldes.

Wer immer nach den Bundestagswahlen in die Rolle der Opposition gerät, wird Angriffe gegen die Kon- trollmöglichkeiten des Bundestages abzuwehren haben. Schon jetzt hört man, dass die Bestätigung von jeder Rüstungsausgabe über 25 Millionen Euro durch den Haushaltsausschuss des Bundestages »nervig« sei. Nun wird in der Regierung bereits über eine Anhebung der Summe oder pauschale Rahmenverträge nachgedacht, die einfacher »durchlaufen«.

In der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode wurden 77 derartige 25-Millionen-Vorlagen beschlossen.

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