Noch nicht fair genug
Fair-Trade-Organisationen fordern mehr Anstrengungen der Politik für die Anbauländer
Der Faire Handel ist im Aufwind - doch noch immer kauft die überwiegende Mehrzahl der Deutschen nur selten faire Produkte. Dabei benötigen die Produzenten in den Anbauländern dringend Hilfe.
Bei Lebensmitteln lieben es die Deutschen billig. In keinem anderen Industrieland wird so wenig Geld für Essen und Trinken ausgegeben wie hierzulande - eine Folge des jahrelangen Preiskampfes des Einzelhandels, vor allem der Discounter. Das hat Folgen, auch für die Bio- und Fair-Trade-Branche, die aufgrund ihres Selbstverständnisses nicht so billig produzieren können wie die Großindustrie.
So konnte der Faire Handel in Deutschland zwar 2016 seinen Gesamtumsatz um 14 Prozent gegenüber 2015 steigern - auf eine Rekordmarke von 1,3 Milliarden Euro. Innerhalb von vier Jahren verdoppelte sich der Umsatz der Branche. Dennoch haben Fair-Trade-Produkte nur einen Marktanteil von sechs Prozent, gerade einmal 16 Euro pro Jahr gibt der Durchschnittsdeutsche dafür aus. Das ist zwar mehr als 2015, da waren es 14 Euro, aber deutlich weniger als in Ländern wie der Schweiz, wo die Zahlen etwa viermal so hoch liegen.
Manuel Blendin, Geschäftsführer des Forums Fairer Handel - des größten Netzwerks fairer Handelsorganisationen -, ist trotzdem zufrieden: Über 7000 Produkte mit dem offiziellen schwarz-blau-gelben Fairtrade-Produktsiegel lägen in den Läden, zudem verkauften Eine-Welt-Läden zertifizierte Waren und auch der Umsatz mit fair gehandelten Produkten aus Europa - etwa Milch aus Kleinbetrieben - stieg. Daran zeige sich der steigende Bedarf, sagte Blendin am Donnerstag in Berlin. Die meisten Bundesbürger gehen aber nicht in einen der 800 Eine-Welt-Läden, um fair einzukaufen - den meisten Umsatz mit fairen Waren verzeichnet der Lebensmitteleinzelhandel. Besonders bei Kaffee und Bananen stieg der Absatz.
Kaffee war im vergangenen Jahr mit einem Anteil von rund 36 Prozent am gesamten fairen Handel das meistverkaufte fair hergestellte und gehandelte Produkt. Dennoch entsprechen erst vier von 100 hierzulande getrunkenen Tassen des koffeinhaltigen Getränks den Kriterien des Fairen Handels. Da die Deutsche Bahn im April ihr Kaffeeangebot auf faire Ware umgestellt habe, dürfte sich die Bilanz des Netzwerks für 2017 noch einmal verbessern, so Blendin.
Für die Kaffeebauern hat der faire Handel viele Vorteile: Sie bekommen einen garantierten Mindestpreis für ihre Ware - auch bei sinkenden Weltmarktpreisen. Zudem helfen die Organisationen den Bauern und Anbaukollektiven bei der Anpassung an den Klimawandel. Dennoch leide die Ernte bereits derzeit schwer unter den menschengemachten Klimaveränderungen, so Blendin: Das Wetter sei unberechenbarer geworden, steigende Temperaturen ließen die Kaffeebohnen zu schnell trocknen, worunter die Qualität leide, wie Betroffene aus den Anbauländern berichten.
Um deren Situation zu verbessern, bedürfe es weiterer Anstrengungen der Fair-Handels-Organisationen, sagte Blendin. Auch an die Politik hat das Netzwerk im Wahljahr konkrete Forderungen: Vor allem solle der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte deutlich verschärft werden. Aus unverbindlichen Selbstverpflichtungen der Unternehmen müsse eine verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette werden. Zudem sollten Bund, Länder und Kommunen nach sozialen und ökologischen Kriterien einkaufen.
Eine weitere wichtige Forderung des Forums Fairer Handel betrifft die bilateralen Freihandelsabkommen, besonders zwischen der EU und den afrikanischen, karibischen sowie pazifischen Staaten. Boniface Mabanza von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg beschrieb eindrücklich, wie sich die Droh- und Erpressungspolitik der EU bereits heute in vielen Gegenden Afrikas auswirkt: Regionale Handelsbeziehungen seien teilweise zum Erliegen gekommen, es bestehe ein Flickenteppich aus unterschiedlichsten Marktzugängen, zudem würden eine weitere Marktöffnung und der Wegfall von Zöllen die aufkeimende lokale Industrie zum Erliegen bringen.
Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen seien ungerecht, sagte Mabanza, wie inzwischen sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) öffentlich zugegeben habe. Sie müssten deshalb rückgängig gemacht und anschließend neu verhandelt werden - und zwar auf Augenhöhe, forderte der Freihandelsexperte.
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