Protestiert laut!
Ina Wudtkes Ausstellung »Agitpoetry« holt die Arbeiterkultur ins Heute
»Bürger dieser Stadt gegen das große Geld, habt ihr die Idee, so ändert die Welt.« Diesen kämpferischen Text sprechen zwei Frauen in einem kurzen Video. In einem weiteren Video mit dem Titel »Zwangsräumung verhindern« sind folgende Zeilen zu hören: »Protestiert laut! Zwangsräumungen passieren in aller Stille. Solidarität, damit alle eine Wohnung haben.« Das dritte Video beschäftigt sich mit dem im Bau befindlichen Berliner Schloss und seiner Vorgeschichte. »Wir rissen ab den Palast der Republik und bauten wieder auf den Palast des Kaisers« rezitiert die Berliner Künstlerin Ina Wudtke.
Die drei Kurzfilme mit ihren klaren politischen Botschaften sind Teil der Ausstellung »Agitpoetry«, die derzeit bei freiem Eintritt täglich von 14 bis 19 Uhr im Kunsthaus KuLe zu sehen ist. Dort zeigt Ina Wudtke Videos, Bilder und Installationen mit gesellschaftspolitischem Anspruch. Ihr Vorbild sind die Arbeiterkünstler in der Weimarer Republik, mit denen sich Wudtke in den letzten Jahren beschäftigt hat. Dabei interessiert sie eine Frage, die schon die Arbeiterkünstler vor mehr als 80 Jahren umtrieb: »Wie kann die Kunst in das gesellschaftliche Geschehen eingreifen und sich auf die Seite der Einkommensschwachen stellen?«
Besonders intensiv beschäftigt hat sich Wudtke mit der Brecht-Mitarbeiterin Margarete Steffin. Die Kommunistin starb jung an Tuberkulose und ist heute weitgehend vergessen. In der Ausstellung widmet Wudtke ihr eine Segel-Installation, auf der das »Lied vom Schiffsjungen« auf Hunger und Ausbeutung hinweist.
Im hinteren Raum der Galerie wird in einem dreiminütigen Video eine Agitprop-Aktion der Emdener Kommunisten aus dem Jahre 1930 gezeigt. Am Beginn einer NSDAP-Veranstaltung in einem Emdener Hotel inszenierten die Kommunisten auf der Bühne des Versammlungssaals eine Performance, in der gezeigt wird, wie ein SA-Mann einen Arbeiter ermordet und der Pfarrer den Segen dazu spendet. Es kam zu einer Saalschlacht mit den Nazianhängern. Später wurden mehrere Emdener Kommunisten wegen der Aktion zu Haftstrafen verurteilt.
Wudtke hat die weitgehend vergessene Aktion mit ihrer Installation bekannt gemacht. Sie hat Kontakt mit dem Enkel des Emdener KPD-Vorsitzenden Gustav Wendt aufgenommen, der wegen der Kunstaktion zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt worden war. Dabei ist ihr auch wichtig, einen anderen Blick auf die Geschichte der Kunst zu werfen: »Das Bild, das in unserer zeitgenössischen Kultur von der Weimarer Republik bevorzugt konstruiert wird, ist ein liberales Bild, das die individuelle Freiheit in der Lebensgestaltung betont. Das kollektive Gesicht der revolutionären, kämpfenden Arbeiter wird meist ausgeblendet«, erklärt Wudtke dem »nd«.
Wudtke konfrontiert die über 80 Jahre alte Arbeiterkultur mit der Gegenwart, und es zeigt sich, dass sie auch heute noch ihre Wirkung entfaltet.
»Agitpoetry«, bis zum 29. Juli im Kunsthaus KuLe, Augustr. 10, Mitte.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.