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Polens Parlament stimmt gegen den Rechtsstaat

Zustimmung zu umstrittenem Umbau des Obersten Gerichts / Präsident Duda muss noch unterzeichnen / Wieder Tausende auf der Straße

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Mit der abschließenden Zustimmung zu der umstrittenen Gerichtsreform hat sich Polens Parlament in der Nacht zu Samstag über alle Mahnungen aus dem In- und Ausland hinweggesetzt. Nach dem Unterhaus stimmte auch der Senat für die Vorlage, die der Regierung weitgehend freie Hand bei der Besetzung des Obersten Gerichts lässt. Erneut gingen Menschen auf die Straße, sie sehen die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr.

Das letzte Wort über die Reform hat nun Präsident Andrzej Duda. Das Gesetz kann nur mit seiner Unterschrift in Kraft treten. Dafür hat er 21 Tage Zeit. Er kann die Vorlage aber auch abweisen oder zur Prüfung an das Verfassungsgericht weiterleiten.

Seit Tagen fordern Demonstranten in Polen, EU-Vertreter und europäische Menschenrechtsaktivisten den Präsidenten zu einem Veto auf. Ein von EU-Ratspräsident Donald Tusk erbetenes Treffen hatte Duda am Donnerstag abgelehnt. Der Präsident entstammt der rechtsnationalistischen Regierungspartei PiS, die das Gesetz mit ihrer Mehrheit durch die beiden Parlamentskammern brachte. Nach 15-stündiger Debatte stimmten in der Nacht zu Samstag 55 Senatoren für die Vorlage der Regierung. 23 Senatoren stimmten dagegen, zwei enthielten sich.

Die Vorlage würde dem von der rechtsgerichteten Regierungspartei PiS gestellten Justizminister erlauben, Richter am Obersten Gericht abzuberufen und durch eigene Kandidaten zu ersetzen. Die Opposition bezeichnete die Reform als »versuchten Staatsstreich«. Seit Tagen demonstrieren in polnischen Städten zehntausende Menschen gegen die Regierungspläne.

Während der Debatte im Senat versammelten sich auch in der Nacht zu Samstag Regierungskritiker vor dem Parlament, um gegen das Gesetz zu demonstrieren. Sie riefen »Verräter«, »Schande« und »Demokratie«. Kritiker sehen in dem Gesetz einen Versuch der Regierung zur Untergrabung von Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit. Selbst vor dem Polnischen Konsulat in Köln machten nach Polizeiangaben etwa 200 Menschen ihrem Unmut friedlich Luft. Aufgerufen zu der Mahnwache hatte die europäische Bürgerbewegung »Pulse of Europe«. Am Wochenende sind Kundgebungen in weiteren europäischen Großstädten geplant.

Mit seinem Votum zeigte der Senat, dass er sich auch dem Druck der EU nicht beugen will. Die EU-Kommission hatte Warschau am Mittwoch mit Sanktionen gedroht, die bis zum Entzug von Stimmrechten auf europäischer Ebene führen könnten. Anfang 2016 hatte sie bereits ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet. Das nun verabschiedete Gesetz ist nur eines von mehreren, mit denen die Regierung ihre Kontrolle über die Justiz ausbauen will.

Die geplante Justizreform ist längst keine innerpolnische Angelegenheit mehr und beschäftigt auch befreundete Nachbarländer. Die höchsten Richter Tschechiens und der Slowakei warnten vor einer Zerstörung des polnischen Rechtsstaats, der Deutsche Richterbund vor dem Streben der PiS-Regierung nach »einer politisch gelenkten Justiz, in der willfährige Richter und Staatsanwälte an ihren Fäden tanzen«. Selbst die US-Regierung als traditioneller Verbündeter riet dringend davon ab, »Gesetze zu erlassen, die die gerichtliche Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untergraben scheinen«.

Am potenziell folgenschwersten ist jedoch der Gegenwind aus Brüssel. Die EU-Kommission drohte für den Fall einer Verabschiedung der Reform ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages an. Dieser sieht bei »schwerwiegender und anhaltender Verletzung« der im EU-Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vor. Am kommenden Mittwoch will die EU-Kommission erneut über Polen beraten.

Kritik an den Plänen kam am Freitag auch von der US-Regierung. Die Gesetzespläne der polnischen Regierung »scheinen die Unabhängigkeit der Justiz zu unterminieren und schwächen den Rechtsstaat in Polen«, erklärte das US-Außenministerium. Die Regierung müsse sich bei der Reform an internationale Rechtsstandards halten. Bislang hatten sich die USA mit Kritik an Polen zurückgehalten. Die rechtsnationalistische Regierung in Warschau sieht die Regierung des Rechtspopulisten Donald Trump als wichtige Verbündete. Trump hatte erst kürzlich einen umjubelten öffentlichen Auftritt in Warschau. Agenturen/nd

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