Kleiner Tank, große Wirkung
Warum die deutschen Autobauer die eigene Abgasreinigungstechnologie austricksen
Der neue Audi A8 wird in Werbespots gerade als das hypermoderne Auto der Zukunft angepriesen. Design, Technik und künstliche Intelligenz sollen hier neue Dimensionen erreichen, so der bayerische Autohersteller. Auch wenn das nicht beworben wird, gibt es eine weitere Neuerung bei der Diesel-Variante: Der AdBlue-Tank ist mit 24 Litern erheblich größer als beim Vorgängermodell mit seinen 17 Litern. Außerdem ist der Einfüllstutzen nicht mehr unter der Motorhaube versteckt.
AdBlue ist der harmlose Begriff der Autoindustrie für das Harnstoff-Wasser-Gemisch, das für die Abgasreinigung benötigt wird. Es sorgt im Katalysator dafür, dass gesundheitsschädliche Stickoxide, die bei der Dieselverbrennung entstehen, in Wasserdampf, Kohlendioxid und ungefährlichen Stickstoff aufgespaltet werden. Den lästigen Umgang mit der streng riechenden, zähen Flüssigkeit mussten sich Autofahrer - im Unterschied zu Lkw-Fahrern - bisher nicht antun. Wie frühzeitig im Zuge der Abgasaffäre bekannt wurde, sorgten Hersteller bei neuen Dieselmodellen für einen extrem geringen Verbrauch von AdBlue, in dem sich die Abgasreinigung mit Hilfe bestimmter Algorithmen im Bordcomputer häufig abschaltet: bei niedriger Außentemperatur, hoher Geschwindigkeit und hohen Drehzahlen. Also immer genau dann, wenn der Katalysator besonders benötigt wird. Die Reinigung funktioniert eigentlich nur auf dem Prüfstand hundertprozentig.
Die VW-Tochter Audi steht nicht nur in den USA im Verdacht, hierbei besonders kreativ gewesen zu sein. Das A8-Vorgängermodell fiel durch einen verdächtig niedrigen AdBlue-Verbrauch und horrend hohe Stickoxidwerte bei Tests unter realen Bedingungen auf. Kein Wunder also, dass der Harnstoff-Tank richtig klein sein konnte und trotzdem fast nie aufgefüllt werden musste, was meist in der Werkstatt geschah.
Der »Spiegel« hat den Vorwürfen nun ein weiteres Puzzlestück hinzugefügt: Die Autohersteller VW, Audi, Porsche, Daimler und BMW sollen nicht jeder für sich auf die Idee mit dem kleinen, daher platzsparenden und kostengünstigeren AdBlue-Tank gekommen, sondern sich diesbezüglich abgesprochen haben. Laut dem Bericht vom Freitag sollen sich mehr als 200 Mitarbeiter der Unternehmen seit den 1990er Jahren in geheimen Arbeitskreisen getroffen haben, wie aus Selbstanzeigen gegenüber dem Bundeskartellamt hervorgehen soll. Das »Handelsblatt« berichtete am Wochenende zudem, dass die Staatsanwaltschaft München II bei Durchsuchungen im VW-Konzern, in Wohnungen und bei der US-Kanzlei Jones Day Unterlagen über eine Präsentation von Audi namens »Clean Diesel Strategie« beschlagnahmt haben soll. Darin sei 2010 von einem »Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene« die Rede, diese Übereinkunft betreffe den Einbau kleinerer AdBlue-Tanks.
Die Kartellvorwürfe sollen laut »Spiegel« auf Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen von Stahlpreisen zurückgehen. Ermittler, die im Sommer 2016 Büros von Autobauern und Zulieferern durchsuchten, stießen aber angeblich auf Absprachen über alle Bereiche der Entwicklung wie Benzin- und Dieselmotoren, Bremsen, Kupplungen und Getriebe, über die Auswahl von Lieferanten, die Preise von Bauteilen und eben auch die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge. Dabei würde es sich um Verstöße gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb handeln - Absprachen zu Lasten Dritter werden üblicherweise mit Bußgeldern in Millionenhöhe belegt. Dies wäre in diesem Fall aber noch das geringste Problem: Zwar tauschten sich Autobauer und Ingenieure immer über Technologien aus, sagte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen gegenüber dpa. Wenn aber etwa vereinbart werde, das Verhalten bei Grenzwerten zu Umweltauflagen abzustimmen, wäre das für die deutsche Autoindustrie, »aber auch für die Politik in Berlin und in Brüssel der Super-GAU, ein Erdrutsch«.
Das Bundeskartellamt wollt sich bisher nicht zu den Berichten äußern, denn man erteile grundsätzlich zu laufenden Verfahren keine Auskünfte. Ein Sprecher der EU-Kommission war ein bisschen auskunftsfreudiger: »Die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt haben Informationen zu dieser Angelegenheit erhalten, die aktuell von der Kommission geprüft werden«, erklärte er am Samstag in Brüssel. Es sei noch zu früh zu sagen, ob die Prüfung in ein wettbewerbsrechtliches Verfahren münden werde.
Ganz sicher wird das Thema auch den ersten Gipfel überschatten, zu dem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) für Anfang August Vertreter von Ländern und Gemeinden sowie der Autoindustrie geladen haben. Bei dem Treffen soll es um Lösungsstrategien für eine Stickstoffdioxidreduzierung bei den Dieselfahrzeugen gehen, da in zahlreichen deutschen Städten die Grenzwerte für die Luftbelastung vor allem wegen der unzureichenden Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen massiv überschritten werden. Einzelne Städte drohen bei extrem hohen Werten schon mit Fahrverboten für Dieselfahrzeuge, wogegen insbesondere die Autoindustrie Sturm läuft. Ihr wird aber nichts anders übrigbleiben, als größere AdBlue-Tanks einzubauen und die Autofahrer darauf vorzubereiten, einen weiteren Handgriff zu erlernen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!