Mit Bürde altern

In »Herbst in der Hose« erklimmt Ralf Königs Langzeit-Beziehungsstudie »Konrad und Paul« eine neue Stufe

  • Waldemar Kesler
  • Lesedauer: 4 Min.

Manche Comic-Figuren begleiten einen schon so lange durch das Leben, dass man sich nicht genau erinnern kann, wann genau sie eigentlich erstmals auftauchten. Ralf Königs Konrad und Paul sind seit den neunziger Jahren präsent. Sie sind für erwachsene Leser das, was die Peanuts oder Donald Duck in der Kindheit und Jugend waren: Quellen kleiner Lebensweisheiten, die man in den Strips und Kurzgeschichten nebenbei mitnimmt.

Das Zusammenleben vom verzärtelten, monogamen Kulturliebhaber Konrad und der personifizierten Untreue Paul hat Tausende Homo- und Heterosexuelle auf die Prüfungen des Paarlebens vorbereitet, während für sie die Zeit dafür noch gar nicht reif war. Ralf König hat dabei Themen behandelt, die die schwule Szene bewegten, die gleichgeschlechtliche Ehe etwa oder die Angst vor einer HIV-Infektion. In einem Handstreich hat er aber mit der Serie im Laufe der Jahre auch Berührungsängste auf Seiten der Heteros abgebaut.

In »Herbst in der Hose« nimmt er sich einer Lebenskrise an, in der die sexuellen Präferenzen keine Rolle mehr spielen: des Älterwerdens. Gerade Paul, der sich komplett über seine Körperlichkeit definiert, macht die abnehmende Lust und Potenz zu schaffen, ganz zu schweigen von den unschmeichelhaften äußeren Veränderungen. Die Episoden umspannen die Zeit kurz vor dem 50. Geburtstag bis zum Altenheim. Wir sehen Pauls Angstreflexe auf die Begleiterscheinungen des Alters. Bevor Paul lernt, sich mit dem Unvermeidlichen zu arrangieren, macht er die schmerzhafte Erfahrung, dass das Ärgste am Altern das krampfhafte und lächerliche Ankämpfen dagegen ist. Er versucht, seine grauen Brusthaare zu färben, aber als er später wie früher mit nacktem Oberkörper in der Disko tanzt, leuchtet die Tönung im Schwarzlicht und lässt ihn zur Lachnummer werden.

In Rosa von Praunheims Doku »König des Comics« erzählt Ralf König, dass Konrad und Paul die zwei Pole seiner eigenen Bedürfnisse verkörpern: den Wunsch nach emotionaler Geborgenheit und den sexuellen Freiheitsdrang. Mit den Jahren sei bei ihm die Konradisierung des Lebens eingetreten, und so ergeht es den Männern in Pauls Umfeld auch: »Sexuelle Treue ... da gleitet man so rein mit dem Älterwerden.« Aber Paul wäre nicht Paul, wenn er nicht trotz allem einen Weg finden würde, die Bürde seiner hyperaktiven Libido mit Stolz und sympathischem Trotz zu tragen, auch wenn sie nur noch als Gespenst der Erinnerung herumgeistert. Konrad steht ihm derweil als Fels in der Brandung zur Seite. Die Eskapaden von Paul sorgen für die großen Lacher, doch ohne Konrads Großmut, Paul so zu nehmen, wie er ist, würde den Geschichten ihre ungeheure emotionale Tiefe fehlen.

Durch die kurze Form, die Ralf König den Geschichten von Konrad und Paul hier gibt, wirft er Schlaglichter auf den kriechenden Bewältigungsprozess der beiden. Wie sie sich zum Schluss im betreuten Wohnen auf einen Liebesakt zum fünfzigsten Jahrestag einstimmen, gehört zu den schönsten Szenen, die überhaupt jemals in einer Bildgeschichte zu sehen gewesen sind.

Nach diesem Band stellt sich für Leser ihrer Liebesgeschichten ein Gefühl von Vollendung ein, das bei den vielen über die Jahre hinweg fragmentarisch verstreuten Erzählungen nicht in der Natur der Sache zu liegen schien. Nachdem wir seit beinahe dreißig Jahren verfolgen, wie sie um eine sinnerfüllte Zweisamkeit ringen, sind sie für ihre Leser gefühlt genauso lebendig wie reale Freunde. Und wie viele fiktionale Figuren das geschafft haben, kann vermutlich jeder an einer Hand abzählen.

Bei Ralf König stellt sich schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr die Frage, ob man sein neues Buch empfehlen kann. Natürlich gibt es (noch) bessere und weniger gute, wobei »Herbst in der Hose« zur ersten Kategorie gehört. Es mag Menschen geben, denen der Humor zu derb und die Zeichnungen zu explizit sind. Dazu gibt es bloß zu sagen, dass niemand es so wie er versteht, Sexualität als natürlichen, gesunden und freudvollen Aspekt menschlichen Daseins darzustellen.

Manche seiner Fans können vielleicht nichts mit seinen religionskritischen Büchern anfangen, weil ihnen das Interesse dafür fehlt. Aber alle, die seine Bücher für sich entdeckt haben, können sich auf sie verlassen, können sie wieder und wieder lesen, wenn sie Trost, Aufheiterung und ein gesundes Verhältnis zur menschlichen Komödie brauchen. Und es ist jedes Mal gut, wenn ein neuer Band dazukommt.

Ralf König: Herbst in der Hose. Rowohlt, 176 S., geb., 22,95 €.

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