Chile lockert Abtreibungsrecht nicht
Regierungsmehrheit kommt bei entscheidender Abstimmung zu Abtreibung bei Vergewaltigung und Lebensgefahr nicht zustande
Eine Wiederwahl im November ist für Chiles sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet aus Verfassungsgründen ausgeschlossen. Eines ihrer Herzensanliegen scheint sie in der verbleibenden Amtszeit nicht mehr umsetzen zu können: die Lockerung des Abtreibungsverbots. Überraschend verfehlte ein entsprechendes Reformgesetz wegen einer Stimmenthaltung die letzte noch notwendige Mehrheit im Kongress. Jetzt muss die Vorlage erneut in den Vermittlungsausschuss. Für die BefürworterInnen wird es knapp, die Vorlage noch vor der Präsidentschaftswahl im November durchzubringen. Dagegen jubeln die GegnerInnen über den unverhofften Zeitgewinn.
Chile ist eines der letzten Länder, in denen Abtreibungen unter keinen Umständen erlaubt sind. Ein Gesetzesartikel, der seit 1931 Ausnahmen zuließ, wurde noch 1989 in den letzten Monaten der Pinochet-Diktatur abgeschafft. Seither werden Schwangerschaftsabbrüche mit Gefängnisstrafen geahndet. Nach allgemeinen Schätzungen werden dennoch jährlich rund 70 000 unerlaubte Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Ebenso strikt ist das Abtreibungsverbot nur noch in Nicaragua, El Salvador, Honduras, Haiti, Malta und der Dominikanischen Republik.
2015 brachte die Regierung eine Gesetzesvorlage ein, die Abtreibungen in drei Fällen zulässt: bei Gefahr für das Leben der Mutter, wenn der Fötus keine Überlebenschance hat und bei einer Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung.
Mehrfach stimmten inzwischen Senat und Abgeordnetenhaus mit den Mehrheiten der Regierungskoalition aus ChristdemokratInnen, SozialistInnen, SozialdemokratInnen und KommunistInnen zu. Kleine Änderungen verlangten jedoch, dass die Gesetzesvorlage erneut durch die Ausschüsse gehen und Senat oder Abgeordnetenkammer abermals zur Abstimmung vorgelegt werden musste.
Jüngst billigten die Abgeordneten in Einzelabstimmungen die drei Ausnahmen mit einfacher Mehrheit. Bei der Änderung der Regelung für Minderjährige unter 14 Jahren war jedoch mehr als die einfache Mehrheit erforderlich. Deren Zustandekommen scheiterte an der Enthaltung des christdemokratischen Abgeordneten Marcelo Chávez. Damit muss die gesamte Gesetzesvorlage wieder in den Vermittlungsausschuss.
»Wunder geschehen«, jubelte María José Hoffmannm von der oppositionellen Rechtsaußenpartei UDI. Dagegen drückte die kommunistische Abgeordnete Karol Cariola ihr »tiefes Bedauern darüber aus, dass die Abgeordneten der Regierungsmehrheit das Vorhaben nicht mit ihrer Zustimmung unterstützt haben.«
Bereits vor ihrem überraschenden Erfolg hatte die rechte Opposition eine Klage beim Verfassungsgericht angekündigt. Dort wechselt am 29. August der Vorsitz an Iván Aróstica, der von Bachelets konservativem Amtsvorgänger Sebastián Piñera zum Obersten Richter ernannt worden war. Auf Aróstica ruhen jetzt die Hoffnungen der GegnerInnen. Als Vorsitzender der Obersten Richter könnte er eine Entscheidung mindestens bis zur Präsidentschaftswahl im November hinausschieben. Dort gilt Piñera als Favorit.
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