Arbeitsprozess um eine Tafel Schokolade

Am Ende wird die Kündigung einer Pflegerin zurückgenommen, doch erleichtert fühlt sich die 64-Jährige nicht

  • Wolfgang Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Heidelberg. Am Ende fließen Tränen im Gerichtssaal. In einem Prozess um eine Tafel Schokolade behält Juliane L. zwar ihre Stelle als Heilerziehungspflegerin und wird nicht fristlos gekündigt. Aber die Vorwürfe der Gegenseite, sie habe gegen die Hausordnung verstoßen, klingen nach und verletzen die 64-Jährige. Mit einem weißen Taschentuch wischt sie sich durchs Gesicht. Auch die Reaktion der Gegenseite zeigt, dass es im Arbeitsgericht in Heidelberg um mehr geht als um Schokolade und die private Nutzung einer Dienstwaschmaschine. Das waren die Hauptanschuldigungen gegen Juliane L., und deswegen musste sie im Februar von einem Tag auf den anderen gehen. Der Arbeitgeber, eine Hilfseinrichtung auch für behinderte Kinder, hatte der Frau nach mehr als 30 Arbeitsjahren im selben Betrieb in Neckargemünd fristlos gekündigt - unter anderem wegen des Vorwurfs, Schokolade einer Kollegin gegessen zu haben.

Arbeitsgerichtsprozesse um vermeintliche Verstöße mit geringem Wert sorgten in der Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen. Besonders bekannt wurde die Berliner Kassiererin Emmely, die 2008 wegen zweier liegengebliebener Pfandmarken im Wert von 1,30 Euro fristlos gekündigt wurde. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Kündigung später für unrechtmäßig.

»Das könnte man auch anders machen, zum Beispiel bei geringer Höhe mit einer Abmahnung beginnen«, sagt Arbeitsrechtsexpertin Marta Böning vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin über Kündigungen bei Bagatellfällen. »Nicht jeder, der eine Heftklammer aus dem Büro mitnimmt, wird gekündigt. Im schlechtesten Fall kann das aber zum Anlass genommen werden, gegen einen Beschäftigten vorzugehen, den der Arbeitgeber sowieso schon «auf dem Kieker» hat.«

Im Fall Juliane L. ist auch nach der knapp zweistündigen Verhandlung im voll besetzten Saal 2 schwer zu sagen, wann die Eskalation begann. Seufzen und Stöhnen der Zuschauer ist zu hören, wenn die Parteien etwa über das Schicksal einer Tasche streiten. Sie soll einer Kollegin gehört haben, von Juliane L. aber den Kindern gegeben worden sein. War die Tragehilfe im Wert von etwa zehn Euro für eine Wichtelfeier vorgesehen oder nicht? Und wurde nach der Schokolade per Aushang gefahndet - oder mit einem Tischzettel? Wiederholter Diebstahl und Verstöße gegen die Hausordnung, lautete der Grund für die Kündigung. Ihr ging keine Abmahnung voraus, und auch der Betriebsrat war gegen die Kündigung.

Zwei konkrete Vorwürfe des Arbeitgebers lässt Richter Daniel Obst nicht gelten: Eine private Nutzung der Dienstwaschmaschine war nicht ausdrücklich verboten, und das Schicksal der Zehn-Euro-Tasche kann nicht aufgeklärt werden. Bleibt die Anschuldigung, dass Frau L. die Schokolade einer Kollegin im Wert von mehr als zwei Euro aufgegessen hat.

Die Tafel sei zwar ersetzt worden, sagt der Richter. »Eigentumsbruch ist aber nicht lustig.« Dann bietet er einen Vergleich an: Die fristlose Kündigung wird in eine Abmahnung umgewandelt - und Juliane L. behält ihre Stelle. Beide Seiten stimmen nach einer Beratung zu.

»Wir wollen der Frau nicht schaden«, hatte Sprecher Nils Birschmann vom Arbeitgeber, der SRH-Gruppe, vor der Verhandlung gesagt. Es gehe nicht um eine Tafel Schokolade, sondern um die Vorbildfunktion für die teilweise behinderten Kinder in der Hilfseinrichtung. Gegen diese habe Juliane L. ebenso verstoßen wie gegen die Hausordnung. Nun kehrt die 64-Jährige an ihren Arbeitsplatz zurück. »Erhobenen Hauptes«, sagt sie, »ich habe nichts gemacht.« Ein Schmerz aber bleibt. »Ich bin nicht erleichtert.«

Am Donnerstag wurde ein ähnlicher Fall verhandelt, wieder in Heidelberg. Ein Verlag hatte einer Redakteurin fristlos gekündigt, weil die Frau Privatpost als Dienstpost verschickt haben soll. Es geht um Portokosten in Höhe von 3,70 Euro. Das Vertrauensverhältnis sei gestört, argumentiert der Verlag. Die Journalistin, die etwa zehn Jahre lang bei dem Verlag tätig war, klagt auf Wiedereinstellung. Sie ging davon aus, dass es berufliche Post war, die sie abgeschickt hatte. dpa/nd

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