Stimmungstest für Macky Sall
Bei den Parlamentswahlen in Senegal droht dem Präsidenten die Quittung für enttäuschte Hoffnungen
Die Druckereien Senegals haben in den vergangenen Wochen auf Hochtour gearbeitet. Für die Parlamentswahlen am 30. Juli mussten 329 Millionen Wahlzettel gedruckt werden, da das Land keine Papierfabrik besitzt, wurde das Papier importiert. KandidatInnen auf 47 Wahllisten versuchen die 165 Abgeordnetensitze im Parlament des 15 Millionen Einwohner Landes in Westafrika zu ergattern. Ab einem gewonnenen Abgeordnetensitz übernimmt der Staat die Wahlkosten der Parteien. Noch nie gab es so viele KandidatInnen für eine Parlamentswahl in Senegal. In einigen Städten wurden provisorische Wahlbüros errichtet. Das Entwicklungsland lässt sich die Demokratie etwas kosten.
Generell ist jedoch die Wahlbeteilung bei Parlamentswahlen gering. Jeder hat aber eine Meinung. In den Medien und sozialen Netzwerke fiebert die Bevölkerung seit Wochen den Wahlen entgegen. Wahlplakate sind überall zu sehen und Wahlkarawanen, die durch das Land ziehen, sorgen für Stimmung.
Ist die übermäßige Anzahl an Wahllisten ein Zeichen einer demokratischen Reife? »Es ist mehr ein Zeichen der Unzufriedenheit«, meint Babaly Sall, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Saint-Louis im Norden des Landes. »Man gibt sich nicht mehr nur mit dem Engagement in der Zivilgesellschaft zufrieden. Die Politik wird wieder in Besitz genommen.«
Hauptgegenstand der Frustration ist die schlechte Regierungsführung. Vor fünf Jahren bei den letzten Präsidentschaftswahlen war das Land in Aufruhr. »Y'en a marre«, auf Deutsch »es reicht!« brach die Jugendlichen auf die Straßen, um gegen die korrupten Politiker zu protestieren. Der Präsident Abdoulaye Wade wurde damals abgewählt.
An die Macht kam Macky Sall. »Er hatte das Land hinter sich. Er hätte Reformen durchsetzen können«, sagt sein Namensvetter Professor Sall. Aber es passierte wenig. Der Kampf gegen Korruption traf nur die politischen Gegner. Schlimmer noch: Der Name des Präsidentenbruders taucht bei einer umstrittene Vergabe von Öl- und Gassfeldern auf.
Ousmane Sonko, entlassener Finanzbeamter, der unter anderem den mangelnden Willen der Abgeordneten kritisierte, ihre Steuern zu zahlen, ist einer der neuen Köpfe bei den Wahlen. »Ich werde ihn wählen«, sagt die 27-jährige Juristin Fatou Faye. »Er hat seine Stelle und alle Privilegien, die dazu gehören, riskiert und sich gegen die Korruption gestellt.« Viele neue Listen bringen frische Köpfe. Es sind Intellektuelle, Vertreter der Zivilgesellschaft, Geschäftsmänner.
Der wichtigste Herausforderer der regierenden Koalition ist aber woanders zu finden: im Gefängnis. Der beliebte Bürgermeister der Hauptstadt Dakar sitzt seit vier Monaten wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder ein. »Man vermutet, dass Macky Sall seinen wichtigsten Konkurrenten für die nächsten Präsidentschaftswahl in zwei Jahren ausschalten wollte«, sagt Politikwissenschaftler Sall. Khalifa Sall, dessen Prozess noch nicht angefangen hat, führt nun den Wahlkampf aus seiner Zelle.
Der zweite Herausforder ist der 91- jährige Wade, der im Juli triumphal aus seinem französischen Wohnsitz kommend durch Dakar zog. Er führt die Liste der PDS an. Trotz seines hohen Alters und seiner Abwahl 2012 genießt er noch viele Anhänger im Land. »Er hat hier alles gemacht: die Autobahnen, die Brücken und die neuen Wohnblöcke«, sagt Yoro Fall. »Macky Sall hat nur die Anlagen bepflanzt«, fügt er etwas flapsig hinzu. Anhänger Wades seit den 1980er Jahren, glaubt der Berufsfahrer, dass Wade noch genug Energie hat, um das Land wieder aufzurütteln. Viele meinen, dass er aber nur zurück gekommen ist, um die politische Karriere seines Sohnes Karim wieder in Fahrt zu bringen. Als einer der wenigen Opfer der Anti-Korruptionskampagne der Regierung saß er im Gefängnis, bis der Präsident ihn 2016 begnadigte. Um Präsidentschaftskandidat der PDS 2019 zu werden, müsste das Parlament eine Amnestie für ihn erlassen.
Welche Karten hat Macky Sall in der Hand, um seine Koalition zum Sieg zu führen? »Wichtige Parteien sind zersplittert. Eine davon ist der Parti Socialiste, die von der Unabhängigkeit bis 2000 an der Macht war«, sagt der Politikwissenschaftler Sall. Die 55 Jährige Clémentine Fall hat immer nur PS gewählt, »die Partei des Friedens und der Stabilität.« Nun aber wird sie den im Gefängnis einsitzenden Khalifa Sall wählen. Ein Teil der PS steht hinter ihm.
Die regierende Koalition buhlt mit ihrer Bilanz um Zustimmung. »Die Infrastrukturprojekte von Wade wurden konkretisiert«, meint Professor Sall. Problematisch sei für ihn der starke Wirtschaftsliberalismus, den Macky Sall mit seinem Plan »Aufstrebendes Senegal« forciert.
»Die senegalesischen Arbeitgeber murren. Sie werden nicht an den Großprojekten beteiligt. Das Land zieht ausländisches Kapital an. Aber was haben die einheimischen Betriebe davon?«, kommentiert der Professor. Auch sei der Präsident bei der Mobilisierung der Jugend gescheitert. »Bisher hat er es nicht geschafft, ihnen Mut für den Aufbruch zu geben, obwohl man spürt, dass mit den neuen Technologien, wo viele Jugendliche fit sind, so viel gemacht werden könnte.«
In Senegal gibt es keine Meinungsumfragen. Wahlanalysen sind auch rar. Was kann man also wissen? Die traditionsreiche Parteien - PS und PDS - sind in einem schlechten Zustand. In den Städten sehnen sich zumindest die gebildeten Jugendlichen nach neuen und sauberen Politikern. Auf dem Land hängt es noch weitgehend davon ab, ob die Notablen es geschafft haben, ein Stück vom Kuchen zu kriegen. Die Parlamentswahl gilt als Test für die Präsidentschaftswahlen 2019. Ob Macky Sall Grund zu zittern hat? 2012 erlangte die Regierungskoalition von Sall eine komfortable Mehrheit mit 119 von 150 Sitzen in der Nationalversammlung. Das ist der Gradmesser für den 30. Juli.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.