Werbung

Arbeitsvermittler auf Zeit

Befristete Beschäftigungsverhältnisse sind an Berliner Jobcentern verbreitet

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Viele Mitarbeiter der Agentur für Arbeit in Berlin haben einen befristeten Arbeitsvertrag. »Sachgrundlose Befristungen sind an vielen Jobcentern in Berlin eher die Regel als die Ausnahme. Diese Einstellungsform hat System«, sagt Lars Düsterhöft. Der 36-jährige SPD-Politiker sitzt als Direktkandidat für die Stadtteile Johannisthal und Niederschöneweide im Abgeordnetenhaus.

Düsterhöft hat in den letzten Wochen in den Jobcentern in Spandau, Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Reinickendorf hospitiert, um sich ein Bild von der Arbeitssituation vor Ort zu machen. »In persönlichen Gesprächen haben mir Mitarbeiter immer wieder erzählt, dass sie und ihre Kollegen befristete Anstellungen ohne Sachgrund haben. Das hat Auswirkungen auf das Arbeitsklima«, sagt Düsterhöft. Befristungen schafften nicht nur berufliche Unsicherheiten, sondern seien auch mit Lohneinbußen verbunden. Auch wenn er keine konkreten Zahlen nennen könne, wie viele Mitarbeiter in den einzelnen Jobcentern betroffen seien, sei die Praxis der sachgrundlosen Befristung ein verbreitetes Phänomen und betreffe vor allem junge Menschen, die neu eingestellt werden, meint Düsterhöft. »Befristungen müssen sinnvoll seien und begründet werden«, sagt der Abgeordnete. Das sei zum Beispiel bei Elternzeit der Fall. Wenn grundlos befristet wird, sei dies nicht im Interesse des Arbeitnehmers. »Es kann nicht sein, dass eine Bundesagentur, die Arbeit vermitteln soll, ihre eigenen Angestellten derart prekär beschäftigt«, sagt Düsterhöft.

Der SPD-Politiker fordert eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Die Forderung steht auch im Bundestagswahlprogramm seiner Partei.

Die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag sachgrundlos zu befristen, wurde in den 1980er Jahren als Mittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit eingeführt. Bis zu zwei Jahre dürfen Arbeitsverhältnisse ohne einen Sachgrund befristet werden. Bei der Agentur für Arbeit dürfen maximal zehn Prozent der Beschäftigten befristet angestellt werden.

Nicht nur Düsterhöft kritisiert, dass diese Form der Befristung heute nichts mehr mit der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit zu tun hat, sondern in erster Linie eine legale Möglichkeit für Arbeitgeber ist, sich von Risiken zu entlasten.

In einer im Juni veröffentlichten Studie hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Befristung ohne Sachgrund mit Blick auf die Bundesrepublik als »Massenphänomen« bezeichnet. Für Berlin heißt das, dass fast jeder Zweite, der eine neue Stelle antritt, befristet angestellt wird. Während im Jahr 2015 im Bundesdurchschnitt 42 Prozent aller Neueinstellungen befristet wurden, lag die Zahl in Berlin mit 40 Prozent knapp darunter. Der Studie zufolge werden Frauen häufiger befristet angestellt als Männer. In Berlin erhielten 46 Prozent der neu eingestellten Frauen einen befristen Vertrag und 33 Prozent der Männer. Bundesweit sind vor allem junge Menschen von befristeter Anstellung betroffen. Bei den 20- bis 25-Jährigen wird im Schnitt jeder Vierte nur befristet eingestellt. Bei den 45- bis 50-Jährigen liegt die Quote bei fünf Prozent.

Die Zahl der Mitarbeiter, die bei der Agentur für Arbeit in Berlin befristet angestellt sind, ist in den zwölf Jobcentern unterschiedlich. Nach Angaben der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit sind von den insgesamt 6558 Jobcenter-Mitarbeitern 308 sachgrundlos befristet angestellt. Das entspricht 4,7 Prozent.

Beim Jobcenter Steglitz-Zehlendorf liegt die Zahl der Befristungen bei fünf Prozent. »Sachgrundlose Befristung ist bei uns kein großes Thema«, sagt der Personalratsvorsitzende André Zimmermann. Noch vor einigen Jahren sei die Zahl der Befristungen sehr hoch gewesen. Der Personalrat habe immer wieder Druck gemacht, mehr reguläre Stellen zu schaffen. »Die Kollegen, die heute befristet angestellt sind, wollen das«, sagt Zimmermann. Lediglich für einzelne Projekte, vor allem für Langzeitarbeitslose, werde in seinem Jobcenter noch sachgrundlos befristet eingestellt. »Steglitz-Zehlendorf mit seiner geringen Befristungsquote ist ein positives Beispiel«, sagt SPD-Politiker Düsterhöft.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.