Themars Protest ist sichtbarer geworden
1050 Neonazis versammelten sich zu Konzert in Thüringen / 460 Menschen demonstrierten gegen Vereinnahmung der Kleinstadt
Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht wahr geworden. Zwar haben sich am Samstag zum zweiten Mal in diesem Juli Anhänger der rechten Szene in Themar versammelt. Ihre Zahl blieb aber weitaus geringer als noch vor zwei Wochen.
Nachdem am 15. Juli 6000 Neonazis ins südthüringische Themar gekommen waren, um das wahrscheinlich größte Hass-Festival auf deutschem Boden seit 1949 zu feiern, war die Angst in der Stadt – die nicht einmal 3000 Einwohner hat – riesig, dass es zum neuerlichen Rechtsrock-Konzert wieder einen Großaufmarsch Rechtsextremer aus dem ganzen Bundesgebiet und dem europäischen Ausland geben würde. Ein Polizeisprecher gab dann aber am Samstagnachmittag an, die Sicherheitskräfte hätten 374 Rechtsextreme gezählt. Angemeldet hatte der Neonazi-Veranstalter 750 Personen.
Auf der Gegenseite standen am Nachmittag wieder hunderte Menschen aus Themar und den umliegenden Dörfern. Sie demonstrierten diesmal sichtbarer, weil sch ihre Aktivitäten rund um den Marktplatz Themars konzentrierten und damit nicht so verloren wirkten wie vor zwei Wochen, als sie in der gesamten Innenstadt verteilt waren. Die Polizei gab die Zahl der Gegendemonstranten mit 460 an.
Auch diese noch höhere Sichtbarkeit des Protests war es, die unter anderem den Bürgermeister der Stadt, Hubert Böse (parteilos), fröhlich stimmte. »Ich bin sehr glücklich«, sagte er am Mittag inmitten seiner Themaraner stehend. Der Landrat des Landkreises Hildburghausen, Thomas Müller (CDU), formulierte das ähnlich. Was die Menschen hier nun schon das zweite Mal innerhalb von zwei Wochen an Gegenprotesten organisiert hätten sei »toll«, sagte er. Themar und sein Landkreis seien bunt, nicht braun. Auch wenn die Rechtsextremen einen anderen Eindruck erwecken wollten.
Die Proteste waren an diesem Samstag noch überparteilicher, noch gemeinsamer als am 15. Juli. Das war auch am Protestzug zu erkennen, der am Nachmittag durch die Innenstadt zog – bis wenige Meter vor das Rechtsrock-Konzertgelände. Vorweg marschierte eine Gruppe vorwiegend junger Menschen, die sich selbst als »Schwarzer Block« bezeichnet. Sie riefen unter anderem: »Ihr habt den Krieg verloren, ihr habt den Krieg verloren.« Mit ein paar Metern Abstand folgten ihnen bürgerliche Gegendemonstranten: ältere Frauen, Familien mit Kindern. Ganz hinten marschierte die MLPD. Immer wieder drangen von hinten die Klänge der »Moorsoldaten« nach vorn über den Protestzug.
Erst vor wenigen Tagen hatten viele Menschen in Themar sich selbst und andere dazu aufgerufen, gemeinsam gegen die Rechtsextremen zusammenzustehen, das zu überwinden, was die Protestierenden sonst politisch so trennt.
Freilich bleibt es eine schlechte Nachricht, dass die Rechtsextremen ankündigten, wieder nach Themar kommen zu wollen – und ihre Zahl bis zum Abend noch deutlich anwuchs; am Ende zählte die Polizei etwa 1050 Neonazis auf der Festivalwiese. Im Bereich der Versammlung »Rock für Identität« stellte die Polizei nach Angaben der Landespolizeiinspektion Suhl 36 Straftaten fest – unter anderem wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Körperverletzung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
Der Mann, der dieses Konzert unter dem Deckmantel des Versammlungsrechts als politische Kundgebung angemeldet hat, sagte nicht zufällig, während er die Auflagen verlas: »Themar ist so schön, da kann man noch ganz oft was machen in den nächsten Jahren.« Deshalb sollten die Rechtsextremen doch bitte freundlich zur Polizei sein. Ein paar Minuten später sagte ein anderer rechtsextremer Redner: »Thüringen ist die Rechtsrock-Hochburg und wir werden alles tun, dass das so bleibt.«
Allerdings ist nun auch endgültig klar, dass der demokratische Protest, den es in der Region gibt, kein demokratisches Strohfeuer ist oder war. Selbst Müller, der in der Vergangenheit immer wieder dafür kritisiert worden war, nicht entschieden genug gegen braunes Gedankengut vorzugehen, gibt sich nun kämpferisch. Er werde, sagt er, als die Gegendemonstranten zum Rechtsrock-Gelände ziehen, in Zukunft mit an der Spitze des Protests stehen. »Ich habe jetzt gespürt, dass man sich deutlich ganz vorne dranstellen muss«, sagte er.
Eine neue Gelegenheit dafür bietet sich möglicherweise schon in wenigen Wochen: Noch ehe die Neonazi-Bands am Samstag anfingen zu spielen, machte in Themar das Gerücht die Runde, dass für September eine weitere Rechtsrock-Veranstaltung in der Region geplant sei.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.