Brokdorf darf wieder ans Netz
Kernenergiegegner demonstrierten am Samstag vor dem Haupttor des Atomkraftwerks
Das AKW Brokdorf darf wieder angefahren werden. »Die Atomaufsicht des Energiewendeministeriums hat am Samstagabend die Zustimmung zum Wiederanfahren des Kernkraftwerks Brokdorf erteilt«, erklärte das zuständige Landesministerium am Sonntag in einer Mitteilung. Demnach könne die Anlage des jährlichen Brennelementewechsels und der damit verbundenen Jahresrevision wieder ans Netz gehen.
Wenige Stunden vor der Erteilung der Erlaubnis demonstrierten knapp 100 Atomkraftgegner vor dem Haupttor des Kernkraftwerk, das am 8. Oktober 1986 als weltweit erste Anlage nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl in Betrieb ging. Die AKW-Gegner äußerten am Wochenende scharfe Kritik an der Atomaufsicht des schleswigholsteinischen Energiewendeministeriums. Jedoch waren sich die Kernkraftgegner nicht einig, wie mit der neuen Situation umgegangen werden soll.
Im Zuge der Jahresrevision wurde im Februar dieses Jahres eine über die zulässigen Grenzwerte hinausgehende Korrosion an mehreren Brennstäben festgestellt, woraufhin der zuständige Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne) für knapp sechs Monate die Wiederinbetriebnahme unterband. Erst nach genauer Ursachenermittlung würde er wieder die Erlaubnis zur Stromproduktion erteilen, sagte Habeck seinerzeit.
Die Bildung ungewöhnlich dicker Oxidschichten an einigen Brennstäben ließ die Behörden nicht nur auf das Material schauen, sondern auch auf die Kraftwerksabläufe zur Energiegewinnung. Am 17. Juli erklärte Habeck das rätselhafte Phänomen der sprunghaften Oxidation für aufgeklärt. Er sprach dann von einem »Dreiklang« an Ursachen, der zu dem Phänomen geführt haben soll. Demnach lag es erstens an einem bestimmten Typ Hüllrohr, nämlich an der Baureihe M 5, zweitens war die 2006 genehmigte Leistungserhöhung von 1440 auf 1480 Megawatt und schließlich drittens der zuletzt immer häufiger erfolgte Lastwechselbetrieb durch Herauf- und Herunterfahren schuld.
Als Maßnahme ordnet die Atomaufsicht nun an, die Leistungsausschöpfung auf den Erfahrungswert von 2006, also auf 95 Prozent, zu drosseln. Bis zur gewünschten Absenkung der mittleren Kühlmitteltemperatur wird das Leistungsmaximum laut Angaben des schleswig-holsteinischen Energiewendeministerium sogar auf 88 Prozent reduziert. Außerdem wird die Lastwechselgeschwindigkeit halbiert.
Für die örtliche Anti-AKW-Gruppe »Brokdorf akut« wurden die Ursachen für die Vorfälle nur oberflächliche aufgeklärt. Die Initiative fordert den gänzlichen Verzicht auf den Hüllrohrtyp M 5 als Bedingung für das Wiederanfahren des Reaktors. Zudem soll die Leistung des Kernkraftwerkes auf 80 Prozent gesenkt werden. Auch soll es aus sicht der Atomkraftgegner eine Zwischenrevision schon nach sechs Monaten geben und nicht erst einen Kontrollcheck bei der turnusmäßigen Jahresrevision im April 2018.
Karsten Hinrichsen von »Brokdorf akut« wirft der Atomaufsicht vor, die Sicherheit der Bevölkerung zu gefährden. Die Betriebsgenehmigung des Meilers sei nicht für einen denkbaren Absturz des größten Flugzeugtyps Airbus A 380 ausgelegt. Von Bürgertransparenz über den AKW-Betrieb könne zudem nicht die Rede sein. Immer wieder werde auf Geheimhaltungsvorschriften verwiesen, beklagt sich Hinrichsen. Auskünfte auf Anfragen, die sich das Ministerium mit immer höheren Gebühren bezahlen lasse, seien stets voller Schwärzungen.
Die LINKE, für die Landessprecherin Marianne Kolter in Brokdorf das Wort ergriff, kritisierte den Kniefall von Bundes- und Landesregierung vor den Gewinninteressen des Betreibers PreußenElektra. Jeder Tag, an dem das AKW Brokdorf keinen Strom liefern kann, kostet dem Unternehmen etwa 900 000 Euro, lautet eine Zahl aus dem Energiekonzern.
Unterdessen gibt es Streit innerhalb der Anti-AKW-Bewegung. Hinrichsen räumte ein, dass nicht alle Initiativen hinter der Forderung stehen, sich mit einem Wiederanfahren des Brokdorfer Meilers zu arrangieren, sofern ein Leistungslimit von 80 Prozent verhängt wird. »Wir müssen realistisch sein: Die Forderung nach einer Sofortabschaltung ist in der Öffentlichkeit nicht mehr so leicht vermittelbar«, fügte Hinrichsen jedoch hinzu. Laut laufendem Atomausstiegsgesetz darf der Reaktor in Brokdorf noch bis Ende 2021 betrieben werden.
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