Ein Weltall ohne Männer

In Ann Leckies Romantrilogie »Die Maschinen« erreicht der Kulturkampf ums Geschlecht den Kosmos

  • Ralf Hoffrogge
  • Lesedauer: 5 Min.

Die US-amerikanische Autorin Ann Leckie räumte mit ihrem 2014 im Original erschienenen Erstlingsroman »Die Maschinen« den prestigereichen Hugo-Award ab. Es war der Start einer Trilogie, deren dritter Teil »Das Imperium« nun auch auf Deutsch erschienen ist. Die Fans feiern, doch einigen Lesern ist das Weltall, wie es hier geschildert wird, nichts. Ein Weltall ohne Männer.

Die Kämpferin Breq ist Teil einer Streitmacht, die das Imperium der Radch zusammenhält, das über Jahrtausende hinweg einen Planeten nach dem anderen annektiert hat. Die Annexionen laufen nicht zimperlich ab: Waffenstarrende Flotten, gesteuert von Künstlichen Intelligenzen (KI), akzeptieren nur die absolute Kapitulation. Als interplanetare Bodentruppen dienen »Hilfseinheiten«, von den Kolonisierten mit Abscheu »Leichensoldaten« genannt. Sie bestehen aus Tausenden menschlicher Körper. Körper ohne Träume und Wünsche, Wurmfortsätze der KI, deren Programm sie als Proxies ohne Zeitverzögerung umsetzen. Wer Widerstand leistet, landet selbst als Hilfseinheit in den Reihen der Radch.

Breq, die Erzählerin des Romans, ist die KI eines Truppentransporters, der »Gerechtigkeit der Torren«. Oder vielmehr: Sie war es. Denn die Gerechtigkeit ist zerbrochen, das Schiff zerstört. Übriggeblieben ist nur einer von vielen Körpern - mit dem vollen Bewusstsein eines Raumschiffes, das über Jahrtausende dem Imperium und seiner Herrin Anaander Mianai gedient hat. Abgeschnitten von Befehlsketten und Updates macht Breq nun eine Transformation durch, entwickelt im Menschenkörper das, was ihr nie zugestanden wurde: kritische Urteilskraft. Die Romantrilogie begleitet Breq durch das Reich der Radch, auf dem Weg zur ultimativen Konfrontation mit Anaander Mianai.

Die Gleichschaltung von Körpern ist der Traum eines jeden Militärstrategen. Leckie verwirklicht hier literarisch einen »Kadavergehorsam«, wie ihn schon Ignatius von Loyola als Gründer des Jesuitenordens von seinen Getreuen verlangte. Doch nicht diese Kritik an Befehl und Gehorsam ist es, die SF-Fanboys bei Ann Leckie auf die Palme bringt. Sie stören sich an einem anderen Aspekt: Im Imperium der Radch gibt es kein Geschlecht. Es gibt Körper, es gibt Fortpflanzung, es gibt auch Sex und Beziehungen. Nur Geschlechterrollen eben nicht. Rollen wie »Männer« oder »Frauen« gelten als Residuum barbarischer Kulturen, die von den Radch erst zivilisiert werden müssen.

Einem Rezensenten auf dem deutschen Portal »Zauberspiegel« ist das zu viel, er beklagt den »Genderwahn im All«, kritisiert die Preisverleihung und fragt sich, »ob die Jury-Mitglieder alle samt und sonders besoffen oder zugekifft waren«. Der Weltraum ohne tapfere Weltraumrecken erscheint ihm offensichtlich undenkbar, obwohl bereits 1970 der Hugo-Award an ein ähnliches Gedankenexperiment verliehen wurde: Ursula K. Le Guin beschrieb in »Die Linke Hand der Dunkelheit« einen Planeten von Zwitterwesen. Doch was 1970 noch durchging, löst heute männliche Urängste aus.

In Reaktion auf Leckies Auszeichnung bildeten sich 2015 gleich mehrere Lobbygruppen rechter Fans mit dem Ziel, im Vorfeld des preisverleihenden »WorldCon« die per Urwahl erstellte Nominierungsliste des Hugo-Award in ihrem Sinne zu beeinflussen. Obwohl selbst »Game of Thrones«-Autor George R. R. Martin die Gruppe als »Arschlöscher« beschimpfte und zur Gegenoffensive aufforderte, gelang es den Rechten, mehrere Titel in die Nominierungsliste zu drücken, die ihr Ziel verdeutlichen: Man will die alte SF mit Männern und Technik zurück und stört sich überdies an zu viel Antirassismus. Ein Erfolg blieb jedoch aus: 2015 gewann mit Cixin Liu erstmals ein chinesischer Autor den Hugo, mit Nora K. Jemison reüssierte 2016 eine afro-amerikanische Schriftstellerin.

Anne Leckie steht zu ihrem Werk. Selbstbewusst trat sie kürzlich auch in der Kultbuchhandlung »Otherland« in Berlin-Kreuzberg auf, wo sie mit »Imperium« den dritten Teil der Radch-Trilogie vorstellte. Die Autorin bedauert Grabenkämpfe bei der Hugo-Vergabe, gibt sich ansonsten aber gelassen: »Die Leute haben das Recht auf eine falsche Meinung über mein Buch«, sagt sie verschmitzt. Und in der Tat ist ihr Werk komplexer. Denn Leckies Welt ohne Geschlechter ist verwoben in einen kulturell-militärischen Imperialismus, der seine Werte absolut setzt. Wer will, mag hier sogar eine Kritik der »Gender-Ideologie« hineinlesen, denn der Feminismus steht nicht auf Seiten der Rebellen. Wer weiterdenkt, erkennt jedoch mit Schrecken eine aktuelle Konstellation, in der ein (vermeintlich) sexuell aufgeklärter Neoliberalismus sich nicht zu schade war und ist, Frauenrechte als ideologische Rechtfertigung »humanitärer Interventionen« zu nutzen.

Ann Leckie hält sich, angesprochen auf diese Interpretation, eher bedeckt: Besonders im zweiten Teil der Trilogie, in dem es um die Plantagenwirtschaft der auf Tee versessenen Radchai geht, sei natürlich das British Empire Vorbild gewesen. Ansonsten habe sie sich jedoch am antiken Rom orientiert - Ähnlichkeiten zur aktuellen Weltlage seien allenfalls »unbewusst«. Allerdings, so die Autorin, hätten alle das Recht auf ihre eigene Lesart.

In Bezug auf Geschlechterrollen betont die Autorin jedoch ihre »nicht binäre« Darstellung als Intervention. Denn auch in der Gegenwart sei Geschlecht eine erlernte Kategorie. Leckie lobt hier den deutschen Übersetzer Bernhard Kempen und seine Innovation eines »generischen Femininums«. Dies ist in der Tat eine kongeniale Übertragung der englischen Vorlage, denn durch konsequentes Durchhalten der weiblichen Form wird die Auflösung von Geschlechterordnung sichtbar und denkbar. Wo in linken Polittexten Unter_striche und Stern*chen durch gewollte Holprigkeit irritieren wollen, gelingt Kempen eine künstlerische Sprache, die auch bei einer Lesung funktioniert - denn sie ist sprechbar.

Doch auch sonst muss das Publikum nichts vermissen. Das Werk hält die Spannung über drei Bände durch und funktioniert als Gesamtes.

Ann Leckie: Die Maschinen (2015). 544 S., br.; Die Mission (2016), 480 S., br.; Das Imperium (2017), 448 S., br., aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen. Alle bei Heyne, je 14,99 €.

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