Kampfansage an die Automobilindustrie
Senat, Charité und BVG wollen ab 2018 autonom fahrende Kleinbusse testen, die elektrisch betrieben werden
Als 1881 die Straßenbahn in Lichterfelde in Betrieb genommen wurde, war sie weltweit die erste, die dauerhaft elektrisch fuhr. 136 Jahre später will die Hauptstadt wieder Vorreiter werden. Dazu haben der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) einen Test für autonom fahrende Elektrobusse auf dem Campus der Charité in Mitte und dem Gelände des Virchow-Klinikums vorgestellt - ein Signal wollen sie damit an die Automobilindustrie senden.
Vier Fahrzeuge sollen ab Anfang 2018 Mitarbeiter, Patienten und Besucher auf drei Routen mit maximal Tempo 20 herumfahren. Zwei Routen werden auf dem Gelände des Virchow-Klinikums und eine Strecke auf jenem der Charité in Mitte verlaufen. Partner des Praxistests, der vom Bundesumweltministerium gefördert wird, sind die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die Charité und das Land Berlin. Für den Vorstandsvorsitzenden der Charité, Karl Max Einhäupl, bieten die beiden Klinikgelände ideale Voraussetzungen für den Test autonomer Fahrzeuge. Mit Straßen, Gehwegen, Kreuzungen sowie Fußgängern, Radfahrern, Autos, Bussen und Lastwagen seien die Areale jeweils »ein kleines Abbild unserer Stadt«.
Müller zeigte sich am Montag bei der Vorstellung des Projekts sichtlich ungeduldig mit den Autokonzernen. Unter Hinweis auf den Diesel-Skandal und den Autogipfel an diesem Mittwoch sagte er: »Die deutsche Automobilindustrie läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren.« Andere Firmen wie die Deutsche Post ließen schon in Eigenregie Elektrolieferfahrzeuge bauen, weil es kein entsprechendes Angebot etablierter Hersteller gebe. Zusammen mit Hamburg habe Berlin deshalb eine Einkaufsgemeinschaft für Elektro-Linienbusse vereinbart, um mit größerer Marktmacht Druck auf die Automobilhersteller ausüben zu können.
Auch Wirtschaftssenatorin Pop kritisierte die deutschen Autokonzerne: »Es gab wohl nicht nur eine Kartellbildung für den Diesel, sondern es sieht fast so aus, als ob es auch eine Kartellbildung zur Verhinderung der Elektromobilität gab.« Pop freut sich, dass mit der BVG ein großes landeseigenes Unternehmen die Elektromobilität forciert. Dass sei ein deutliches Signal an die Autoindustrie und auch »in Richtung Bundesebene«.
Martin Schlegel, Verkehrsreferent des Umweltverbandes BUND in Berlin, hält eine Umrüstung der Flotten öffentlicher und privater Unternehmen nur dann für sinnvoll, wenn zugleich der Umstieg auf erneuerbare Energien forciert wird. Aktuelle Elektromobile seien nicht klimafreundlicher als Autos mit Verbrennungsmotor, wenn der Strom dafür weiterhin aus Kohle stamme, kritisierte Schlegel. »Der Ansatz der Bundesregierung, einfach möglichst viele Fahrzeuge auf Elektrobetrieb umzustellen, ist zu kurz gedacht«, sagte Schlegel dem »nd«.
Derzeit läuft die Ausschreibung für Praxistests. Die beiden Exemplare, die auf dem Gelände ausgestellt wurden, kamen von den beiden weltweit führenden Unternehmen für Elektrobusse. Beide stammen aus Frankreich. Deutsche Firmen setzen ja auf Diesel.
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