Ende eines historischen Projekts
Rot-Grün verliert die letzten Bastionen
Im Bundestagswahlkampf verzichten SPD und Grüne auf Verbrüderungsgesten. Vor vier Jahren hatte die Ökopartei noch den damaligen Chef der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, zu ihrem Parteitag eingeladen. Dort verschenkte er rote und grüne Rucksäcke, gefüllt mit Ökobier und Bionade. Zuvor durfte Claudia Roth als Grünen-Vorsitzende eine Rede beim SPD-Parteitag halten.
Damals hatten sich die Parteien trotz schlechter Umfragewerte geweigert, die Hoffnung auf eine rot-grüne Mehrheit im Bund aufzugeben. Mittlerweile verhalten sich ihre Strategen realitätsnäher und schließen keine Koalition mehr aus. Denn Rot-Grün ist auf absehbare Zeit keine Option mehr. Das gilt nicht nur für den Bund, sondern mittlerweile auch für die Flächenländer. Rot-Grün wurde dieses Jahr in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo der SSW Teil der Regierung war, abgewählt. Weil eine niedersächsische Abgeordnete der Grünen kürzlich zur CDU übergelaufen ist, hat Rot-Grün auch dort keine Mehrheit mehr. Nur noch die Stadtstaaten Bremen und Hamburg werden von stabilen rot-grünen Koalitionen regiert.
Das Zusammengehen von SPD und Grünen galt einst als historisches Projekt. 1998 lösten sie im Bund die Regierung des CDU-Mannes Helmut Kohl ab. Das neue Kabinett bestand aus konservativen Sozialdemokraten und Politikern, die aus dem Umfeld der »68er Bewegung« stammten. SPD und Grüne setzten gesellschaftspolitische Liberalisierungen, aber auch Sozialabbau und eine aggressivere deutsche Außenpolitik durch. Vor allem der SPD liefen deswegen reihenweise Unterstützer davon. Ihr ist es bisher nicht gelungen, diese Menschen in großer Zahl zurückzugewinnen.
Zudem war Rot-Grün in erster Linie immer ein westdeutsches Projekt. Im Osten konnten die beiden Parteien nur dann regieren und die SPD den Regierungschef stellen, wenn sie die PDS beziehungsweise Linkspartei mit ins Boot holten. Die PDS tolerierte in den 90er Jahren eine rot-grüne Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt. In Berlin regiert seit bald einem Jahr Rot-Rot-Grün.
Trotz der unpopulären Politik der Schröder-Regierung feierte Rot-Grün vor einigen Jahren ein Revival in westdeutschen Ländern. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 kam es in der Bundesrepublik zu Massendemonstrationen gegen die Nutzung der Atomenergie. Davon profitierten die Grünen, die der schwächelnden SPD zu mehreren Ministerpräsidentenposten verhalfen. Das galt auch für den Niedersachsen Stephan Weil, der im Januar 2013 mit 32,6 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis der SPD in dem Land eingefahren hatte. Seit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Haltung zur Kernenergie revidiert hatte, sanken jedoch schrittweise die Beliebtheitswerte der Grünen, die einen Anpassungsprozess durchlaufen haben und denen mittlerweile ein eigenes zentrales Thema fehlt.
Die rot-grünen Wahlerfolge waren auch deswegen trügerisch, weil sie durch die Schwäche der LINKEN möglich wurden. Zwischen 2011 und 2012 steckte die Partei in einer Führungskrise und beschäftigte sich fast ausschließlich mit der Nachfolge der Chefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Es deutet nichts darauf hin, dass sich ein ähnliches Szenario bald wiederholen könnte.
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