Ein Meilenstein zur Legalisierung von Cannabis ist gesetzt

Warum Jugendrichter Andreas Müller für eine liberale Drogenpolitik kämpft

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 6 Min.

Andreas Müller ist Jugendrichter am Amtsgericht Bernau. Bekannt wurde er wegen seiner zum Teil harten Strafen gegen rechtsradikale Schläger und Intensivtäter. Gleichzeitig kämpft er für eine Legalisierung von Cannabis. So spricht er am Samstag auf der jährlich in Berlin stattfindenden Hanfparade. Simon Poelchau sprach mit ihm über Drogenpolitik.

Hoffen Sie auf Jamaika in Berlin nach der Bundestagswahl?
Für eine Cannabis-Legalisierung könnte ich mir das als eine wunderbare Konstellation vorstellen. Dann müsste nämlich die FDP Butter bei die Fische geben. Und die Grünen sowieso. Sie könnten die CDU/CSU in die Zange nehmen. Auch bei den Konservativen gibt es mittlerweile trotz allen Geschreis gegen das Kiffen von den Haushältern angefangen bis hin zu ersten Kreisverbänden der Jungen Union viele Tendenzen, die in Richtung kontrollierte Freigabe gehen. Es gäbe aber auch andere Konstellationen, bei denen eine Legalisierung nach der Bundestagswahl denkbar wäre. So wäre Rot-Rot-Grün besser, obwohl die SPD bei dem Thema gespalten ist.

Wäre nicht eine Rastafari-Koalition aus FDP, Grünen und Linkspartei am besten, die in ihren Wahlprogrammen offen die Legalisierung fordern?
Diese Koalition wird es wohl nicht geben, da dafür die Mehrheiten nicht da sind. Wäre allerdings mein Traum.

Selbst in der CSU gibt es Anzeichen eines Umdenkens in der Drogenpolitik, oder? Immerhin hat die Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) durchgesetzt, dass die Abgabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken erleichtert wurde.
Sie hat damit in der Tat einen Meilenstein hin zur Legalisierung gesetzt. Durch die Aufnahme von Cannabis als Medizin hat die Pflanze das Odium des schrecklichen Rauschgiftes verloren. Nun hat man auch in Deutschland kapiert, dass diese Pflanze einen unheimlichen Nutzen für die Gesellschaft birgt.

Was sagen Sie Skeptikern, die Studien ins Feld führen, nach denen Kiffen Psychosen auslösen kann?
Nach einer Legalisierung werden vermutlich nicht mehr Menschen kiffen, als es jetzt schon tun und es sind, wenn überhaupt, nur ganz wenige Menschen betroffen. Letztlich ist auch noch nicht geklärt, ob Cannabis schuld an den Psychosen ist oder, wie ich glaube, kranke Menschen versuchen, sich mit der Droge selbst zu medikamentieren. Selbst wenn die Skeptiker Recht hätten, wäre eine Legalisierung auch in dieser Hinsicht besser.

Warum?
Natürlich gibt es auch Menschen, die Cannabis im Übermaß konsumieren. Aber da müssen Ärzte, Therapeuten und Psychologen ran und keine Strafverfolgungsbehörden. Ich hatte und habe als Jugendrichter oft genug mit psychotischen Jugendlichen zu tun, die auch zu viel gekifft hatten. Um die hätte man sich viel früher kümmern müssen und können. Dies hat jedoch das Strafrecht verhindert, weil sie nicht frei und offen über ihre Probleme erzählen konnten.

Sie sind also ohne Wenn und Aber für die Freigabe?
Ja unbedingt, da es keine Argumente mehr für eine Prohibition gibt. Insbesondere die Theorie, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, wird weltweit von keinem Wissenschaftler mehr vertreten. Und der Schaden, den die Prohibition angerichtet hat, ist enorm. Milliarden an Steuermitteln sind in die Verfolgung geflossen. Eine halbe Million überwiegend junge Menschen sind in den letzten vier Jahrzehnten inhaftiert worden. Allein vergangenes Jahr erhielten rund 150.000 Menschen Ermittlungs- und Strafverfahren und kiffenden Menschen wird der Führerschein ohne Grund abgenommen. Da wurden und werden viele Existenzen zerstört. Und obendrein verzichtet der Staat noch auf Milliarden an Steuern, die er einnehmen könnte, wenn die Droge legal wäre. Und dieses Geld könnte für eine vernünftige Präventionsarbeit genutzt werden.

Sprechen nicht Aspekte des Jugendschutzes gegen eine komplette Freigabe?
Bei dem Thema hätte ich in der Tat auch etwas beim Entwurf zum Cannabis-Kontrollgesetz nachgebessert, den die Grünen 2015 leider erfolglos in den Bundestag einbrachten. Denn eigentlich war er schon ein sehr guter Plan, wie Cannabis hierzulande legalisiert werden könnte. Gleichwohl steht der Jugendschutz nicht entgegen, da junge Leute auch gegenwärtig an jeder Ecke an Cannabis rankommen können und sich nicht von der strafrechtlichen Verfolgung abschrecken lassen. Da ist es besser, mit Aufklärung und gut eingearbeiteten Jugendschutz zu arbeiten. Eben wie beim Alkohol.

Inwiefern?
Jedes Mittel, das im Übermaß genossen wird, ist schädlich. Das muss den Menschen von klein auf beigebracht werden, man muss sie drogenmündig machen. Man muss den Jugendlichen offen erklären, was passiert, wenn sie kiffen, und dass es auch gefährlich sein kann, anstatt es ihnen zu verbieten. Insofern sollten zur Hanfparade am Samstag in Berlin nicht nur junge Menschen kommen, sondern auch deren Eltern und Verwandte. Die nämlich, die einen offenen und ehrlichen Umgang mit ihren Kindern suchen und nicht wollen, dass sie wegen ein paar Gramm Gras kriminalisiert werden.

Ihnen geht es also mehr um einen bewussten Umgang mit Drogen?
Ja! Man reglementiert heutzutage viel zu viel. Das ist falsch. Es sollte mehr präventiv gearbeitet werden. Menschen werden immer Drogen nehmen, egal ob illegal oder legal, einige werden auch süchtig werden. Und da ist es erst mal wichtig, dass wir das akzeptieren, eben wie beim Alkohol auch, und dass es einen offenen und ehrlichen Umgang mit Drogen gibt. Insofern verstehe ich bis heute nicht, warum Langzeit-Junkies bisher nur in Modellversuchen und nicht flächendeckend Heroin auf Krankenschein bekommen. Das wäre besser als jeder Ersatzstoff, kostengünstiger und die Menschen, die nun mal süchtig sind, könnten, ohne kriminell zu sein, ein vernünftiges und menschenwürdiges Leben führen.

Sie sind also auch für die Freigabe harter Drogen?
Freigabe ist das falsche Wort. Vielmehr sollten sie unter staatliche Aufsicht gestellt werden. Es gibt hierzulande etwa 2,5 Millionen Menschen, die von verschreibungspflichtigen Medikamenten abhängig geworden sind. Wieso kann sich dann nicht auch ein Junkie den Stoff in der Apotheke abholen, den er braucht und von dem er sowieso nicht runterkommt? Dabei geht es mir ja nicht darum, dass die Drogen überall und für jeden erhältlich sind, sondern darum, dass der Drogenmarkt staatlich reguliert wird. Eben dies versäumt der Staat, indem er den Handel auch mit harten Drogen Kartellen überlässt. Die scheren sich nicht um Jugend- und Menschenschutz.

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