Gegenüber vom Disney Store

Christoph Ruf lief durch Paris und fand fast nur reiche Touristen in Neymar-Trikots

Ich habe das Glück, in einer Stadt zu leben, von der aus man mit dem Zug schneller in Paris als in Düsseldorf ist. Das ist gleich in mehrerlei Hinsicht sehr erfreulich. Mit Fußball habe ich Paris bislang allerdings noch selten in Verbindung gebracht - dabei bringe ich fast alles in meinem Leben mit Fußball in Verbindung. Paris St. Germain (PSG) hat mich nie interessiert, zum bei der Gründung auch für die Arbeiterklasse offenen Red Star Paris habe ich es bislang nur vors Stadion geschafft, da würde ich gern mal rein.

Als ich vor zehn Tagen in Paris war, machte ich allerdings eine interessante Entdeckung. War ich bisher davon ausgegangen, dass der französischen Kapitale (darin der deutschen nicht unähnlich) Fußball auf ewig wesensfremd bleiben würde, sah ich diesmal doch ein paar Menschen, die bei dezentem Sommerwetter mit PSG-Fantrikots bekleidet waren. Es war Samstag, der 5. August zwischen 17 und 19 Uhr rund um ein primär von Einwanderern bewohntes Viertel im 18. Arrondissement. Das war insofern interessant, als PSG just in dieser Zeit im noblen Südwesten ein Heimspiel gegen Amiens austrug. Der Verein, der ein paar Tage zuvor den talentierten Mr. Neymar für 222 Millionen Euro verpflichtet hatte, scheint also tatsächlich mittlerweile auch Sympathisanten in den proletarischeren Vierteln zu haben. Nur dass die sich die Ticketpreise eben nicht leisten können, wie einer dieser Fans amüsiert zu verstehen gab.

Das ist wiederum das Gleiche, was man von ehemaligen Ultras hört, die noch in den Prinzenpark gegangen sind, als PSG einst ein echter Fußballverein war. Und nicht wie heute etwas, das sie mit sehr vielen negativen Attributen bedenken: großbürgerlich, steril, dekadent, autoritär. PSG geht es wie dem Prenzlauer Berg in Berlin: Er ist komplett gentrifiziert, die Ultras sind unerwünscht, sie scheinen es aber ganz gut zu verkraften.

Einige Stunden saßen in der Metrolinie 9 auch ein paar von jenen Menschen, die heutzutage zum PSG gehen. Es gab darunter ein paar »normal« anmutende Fußballanhänger, aber die waren in der Minderheit. Besonders auffällig war hingegen ein sehr schick frisierter 12-Jähriger an der Hand seiner sehr schick frisierten Mutter, für die die französische Wendung »BCBG« erfunden zu sein schien. »Bon chic, bon genre« (Guter Schick, gute Herkunft).

Was an dem Jungen aber wirklich verwirrte, war die Tatsache, dass er neben dem PSG-Trikot einen Rucksack mit dem Logo von Real Madrid trug. So ein Multi-Sympathisantentum ist neuerdings ebenfalls mächtig schick: Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es unschuldige Kinder, die von ihren Vätern nach der Geburt als Mitglied des FC Bayern eingetragen wurden, um danach von der Mama einen BVB-Strampler geschenkt zu bekommen. Mit zehn tragen diese Kinder dann dienstags das eine und mittwochs das andere Trikot. Und wenn sie erwachsen sind, werden sie Landtagsabgeordnete in Niedersachsen und wechseln ihr grünes Hemdchen gegen das schwarze. Hat Winfried Kretschmann auch gemacht. Nur unauffälliger als Frau Twesten.

Was macht der Real-PSG-Fan, wenn beide Vereine gegeneinander spielen? Geht es ihm dann wie Helene Fischer, der nach ihrem desaströsen Pokalfinal-Halbzeitauftritt im Mai zu Protokoll gab, sie habe »von ganzem Herzen beiden Vereinen die Daumen gedrückt«? Es wird wohl so sein, denn Zeit, Raum und andere Konstanten des bisherigen Fußballlebens gelten dieser Tage nur noch eingeschränkt, was sich in den darauffolgenden Tagen in Paris bestätigen sollte. Neymar besaß nämlich aufgrund einer UEFA-Klausel - die tatsächlich beachtet werden musste - noch kein Spielrecht gegen Amiens, war also noch nie im PSG-Dress aufgelaufen. Das allerdings unterschied ihn von ein paar Dutzend 15 bis 25-Jährigen, die an den touristischen Hotspots der Stadt im frisch erworbenen Neymar-Jersey herumstanden und offensichtlich die Zielgruppe einer groß angelegten Verkaufsaktion im PSG-Flagstore an den Champs Elysées auf der gegenüberliegenden Straßenseite vom Disney-Store waren.

An den 20 Meter langen Neymar-Flaggen gingen die Einheimischen vorbei, ohne das Tamtam auch nur eines Blickes zu würdigen. In der Devotionalienschlange standen dafür Teenager und Hipster aus Asien, den Emiraten und europäischen Städten. Jung, reisefreudig, prinzipienlos und reich. Wer braucht schon seine eigentlichen Fans, wenn der internationale Jetset auf Stadion- und Merchandisingtour ist?

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