Männer machen Überstunden, Frauen putzen die Küche

Beide Geschlechter nutzen Homeoffice und Arbeitszeitautonomie sehr unterschiedlich

Viele Beschäftigte finden das attraktiv: öfter mal vom Schreibtisch zu Hause aus arbeiten. Lästige Pendelzeiten fallen dann weg, es ist egal, ob man um 7 oder um 10 Uhr mit der Arbeit beginnt. Kurz mal zum Arzt, zur Kita oder zum Einkaufen - kein Problem. Die Kehrseite des Homeoffice: Wer viel von zu Hause arbeitet, neigt dazu, mehr zu arbeiten. Zudem verschwimmen Arbeit und Leben ineinander, schlimmstenfalls ist gar nicht mehr klar, wann das eine beginnt und das andere aufhört. »Selbstbestimmung klingt gut, ist aber auch eine Einladung zur Selbstausbeutung«, sagt Yvonne Lott. Die Arbeitszeitexpertin der Hans-Böckler-Stiftung hat flexible Arbeitszeitmodelle genauer untersucht und dafür die Angaben von gut 10 000 Personen aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) der Jahre 2011 und 2012 ausgewertet. Sie wollte herausfinden, was für Arbeitnehmer am besten ist: feste Bürozeiten, Gleitzeit oder völlige Selbstbestimmung ohne konkrete Zeitvorgaben?

Ihr Ergebnis: Ist der Arbeitsplatz zu Hause, fällt Abschalten am Abend allgemein schwerer. Können die Beschäftigten ihre Arbeitszeiten dann auch noch vollständig selbst bestimmen, ist es mit der Abendruhe oftmals endgültig vorbei. Allerdings nur bei Männern: Gerade Männer neigten dazu, ohne vorgegebene Grenzen übermäßig lange zu arbeiten, erklärt die Forscherin Lott. Frauen seien hingegen »typischerweise geübtere Grenzgängerinnen« als Männer. Sie nutzten die zeitliche Flexibilität statt für unzählige Überstunden eher, um Haus- und Sorgearbeit mit dem Job unter einen Hut zu bringen.

Besser funktionieren selbstbestimmte, aber immer noch geregelte Arbeitszeiten, wie etwa Gleitzeit. Damit fühlen sich Beschäftigte nicht übermäßig zusätzlich belastet. Besonders Männer schaffen es unter diesen Bedingungen leichter, mit Arbeitsdruck umzugehen, ein »gesundes Maß« also zu finden. Selbst starre Arbeitszeiten, die als altmodisch und überholt gelten, weil sie mit anderen Verpflichtungen kollidieren, müssen nicht nur schlecht sein. Klare Regeln bieten Planungssicherheit, erinnert Lott. Das reduziere Stress.

Im Lichte dieser Erkenntnisse erteilt die Wissenschaftlerin der von Unternehmen häufig geforderten weiteren Deregulierung der Arbeitszeitbestimmungen eine Absage. Denn dies würde das Gleichgewicht zwischen Leben und Arbeiten gefährden und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verschärfen. Vor allem völlige Arbeitszeitautonomie birgt demnach das »Risiko der Traditionalisierung von Partnerschaften«, so Lott, weil eine Seite - meist die Frau - der anderen den »Rücken frei halten« muss.

Seit Längerem trommeln Arbeitgeberverbände wie der BDA für die Umstellung der Arbeitszeitgesetze von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit, um Unternehmen mehr Spielräume für die Anpassung an Auftragslagen zu eröffnen. Unter Druck steht auch die gesetzlich vorgeschriebene Mindestruhezeit von elf Stunden. Zuletzt sprach sich Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) für eine Aufweichung aus. »Wenn eine junge Mutter morgens im Homeoffice arbeiten will, bevor das Kind aufwacht, und dann abends wieder, wenn das Kind erneut schläft, darf sie das nicht«, kritisierte der Minister, der zugleich Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU ist.

Die neue Landesregierung von CDU und FDP plant eine Bundesratsinitiative, um das Arbeitszeitgesetz zu lockern. Die angestrebte Flexibilisierung stehe aber »ganz klar unter dem Vorbehalt des Gesundheitsschutzes und der Zustimmung der Gewerkschaften«, betonte der Minister. Unternehmen, die in keiner Tarifbindung seien und deshalb keine gewerkschaftliche Zustimmung einholen könnten, hätten auch keine Möglichkeit, von der angestrebten Flexibilisierung zu profitieren.

Ihren Segen wollen Gewerkschaften dazu jedoch nicht geben: Die Obergrenze der täglichen Arbeitszeit sei keine Willkür, sondern arbeitsmedizinisch begründet, ebenso wie die Ruhepause, winkt der DGB ab. Flexibilisieren wollen aber auch sie, nur an anderer Stelle. Mehr Beweglichkeit erwarten sie vielmehr vom Chef: So wollen Beschäftigte ohne große Absprachen früher gehen oder später kommen können, fand die IG Metall heraus. Die Industriegewerkschaft macht sich für eine Umverteilung der Arbeitszeit entlang des Lebenslaufes stark, will die Ausgestaltung aber weder dem Einzelnen noch Betriebsräten überlassen. Dazu seien »verlässliche tarifliche und gesetzliche Regelungen nötig«. Änderungen am Arbeitszeitgesetz sind für die Arbeitnehmervertreter ebenfalls denkbar, die beispielsweise ein Recht auf »Abschalten« einführen wollen, um der ständigen Erreichbarkeit durch Rechner und Smartphone Grenzen zu setzen.

Zugleich gibt es unter Arbeitnehmervertretern Stimmen, die die gewerkschaftliche Orientierung auf flexiblere Arbeitszeiten für einen Irrweg halten. Sie plädieren vielmehr für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Dann lösten sich viele Probleme von selbst.

Die Arbeitszeitforscherin Lott ist überzeugt, dass sich die Risiken einhegen lassen. Noch mehr Flexibilität sei vertretbar, wenn es klare Regeln gibt: zeitliche Obergrenzen, Zeiterfassung, realistische Vorgaben für das Arbeitspensum, genug Personal und Vertretungsregeln. Verlässliche Schichtpläne seien ebenso notwendig wie Fortbildungen für Beschäftigte und Vorgesetzte, in denen vermittelt wird, wie Grenzen gesetzt werden können. Sind diese Voraussetzungen nicht nur im Betrieb, sondern auch beim mobilen Arbeiten oder im Homeoffice gegeben, könnten neue Spielräume für selbstorganisiertes Arbeiten geschaffen werden, meint Lott. Sie denkt dabei an ein Recht auf Homeoffice, das vielen Arbeitnehmern bislang gar nicht zusteht. So arbeiten bislang nur zwölf Prozent aller abhängig Beschäftigten hierzulande überwiegend oder gelegentlich von zu Hause aus, obwohl dies bei 40 Prozent der Arbeitsplätze theoretisch möglich wäre. Kommentar Seite 4

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