Wo der Zauberlehrling die Geheimnisse der Magie studiert
Sachsen: Die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz gehört zu den Büchertempeln des frühen Klassizismus
In Görliwood wird gern gedreht: In den letzten Monaten begegnete man in Görlitz wieder häufiger Kamerateams sowie Darstellern in mittelalterlichen Kostümen. Diesmal war es der »Zauberlehrling«, der mit seinem Besen die Altstadt verhexte - angelehnt an Goethes gleichnamige Ballade und in Szene gesetzt für ZDF und MDR. Sein Zaubermeister Ambrosius residiert dazu im Alten Rathaus. Am Untermarkt entstand die Apotheke, in der Altmeister Zacharias den wissbegierigen Valentin in die Geheimnisse der Kräuter- und Heilkunde einweist. Und unbedingt in die historischen Kulissen integriert werden musste auch die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften.
Diese logiert seit über zwei Jahrhunderten im Obergeschoss eines Barockpalais' - zwar etwas versteckt, doch Filmproduzentin Ingelore König kennt sich aus. Sie wuchs im sächsischen Görlitz auf. So erinnert sie sich an die wie verwunschen wirkende Bücherei, in der sich nun der Zauberlehrling in die Geheimnisse der Magie hineinliest, noch aus eigenen Kindheitstagen. Damit gehe für sie gar ein Traum in Erfüllung, verriet die heutige Erfurterin zu Beginn der Dreharbeiten.
Fraglos hätte kein Requisiteur in Hollywood oder Babelsberg den im Jahr 1806 eröffneten Bibliothekssaal authentischer erfinden können. Wie gemalt wirken die fünf raumhohen Regalbögen, die den großen Büchersaal gliedern, als seien sie von vorn herein als Theaterkulissen kreiert worden.
Und tatsächlich sei die gestalterische Grundidee damals den Prinzipien gängiger barocker Theaterarchitektur gefolgt, sagt Jasper Freiherr von Richthofen, der als Direktor des kulturhistorischen Museums Görlitz auch die Bibliothek als einen herausragenden Bestandteil der »Görlitzer Sammlungen« betreut. Als Vorbild hätten zudem adlige schlesische Privatbüchereien sowie die Buchsammlung der Franckeschen Stiftungen in Halle gedient.
Heute zählt der historische Bibliothekssaal als sogenanntes Interieurkunstwerk zu den schönsten Bibliotheksräumen des frühen europäischen Klassizismus. Dabei kommt er ganz ohne pompösen Zierrat aus. Allein die recht kunstvollen Buchrücken verleihen dem Raum seine charakteristische Atmosphäre. Als seinerzeit der Jurist und Sprachforscher Karl Gottlob Anton seine eigene 10 000 Bücher umfassende Sammlung an die 1779 von ihm mitgegründete Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften schenkte, ließ er in dem Raum sogar die älteren Stuckdecken abschlagen: Nichts sollte den Nutzer fortan von der Macht des Wortes ablenken. Erst zur Restaurierung und Wiedereröffnung der Bibliothek im Jahre 1951 ließen Kunstexperten die ursprüngliche Stuckierung zumindest malerisch wieder andeuten.
Im Jahr zuvor hatte die DDR die Sammlung unter ihrem heutigen Namen Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften quasi neu gegründet. Neben der Bibliothek der ehemaligen Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften umfasste diese nun auch die 1727 nach Görlitz gelangte Milichschen Bibliothek: ein Schatz aus rund 7000 Büchern, 200 Manuskripten und 500 Münzen, den der Jurist Johann Gottlieb Milich aus dem schlesischen Schweidnitz (heute Świdnica) zusammengetragen und 1726 der Stadt Görlitz vermacht hatte. Milich knüpfte dies übrigens an die Bedingung, dass die Sammlungen zweimal in der Woche für jedermann zur Verfügung zu stehen hätten - eine Auflage, die die Bibliothek bis heute treu erfüllt. Noch immer dürfen alle Bücher im Lesesaal der Bibliothek benutzt werden.
Dabei umfasst der Fundus der größten Bibliothek zwischen Dresden und Wrocław (Breslau) inzwischen 140 000 Bände. Rund vier Fünftel des Bestandes seien historische Werke, unter ihnen manche bibliophile Rarität, versichert von Richthofen. So finden sich im historischen Lesesaal, der im Jahre 2010 erneut saniert wurde, prächtige Inkunabeln (Wiegendrucke mit beweglichen Lettern aus der Gutenberg-Zeit), Flugschriften der Reformation, wertvolle Handschriften, rund 3000 historische Karten und Atlanten sowie die Skaryna-Bibel von 1519. Sie gilt als erste in weißrussischer Sprache gedruckte Publikation.
Der älteste Band sei gar ein handschriftlicher Kodex aus dem 11. Jahrhundert mit Texten des römischen Geschichtsschreibers Sallust, verrät der Museumschef. Er will mit der Bibliothek vor allem den Wissenstransfer und die Identitätsfindung zwischen Deutschland, Polen und Tschechen befördern.
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