Dschunke - Say it again? Juhnke
Zu Gast im ältesten Chinarestaurant Berlins
Das bekannteste China-Restaurant Berlins führten bis vor einigen Jahren die Schwiegereltern von Harald Juhnke. Und wer von den Ü30 hat nicht folgendes Schaukasten-Werbebild vor Augen: Harald Juhnke himself genießt eine Schmatz-Ente. Er - superölig wie die Ente - daneben ein schönes Glas Leitungswasser. Das Berliner Leitungswasser ist das beste Leitungswasser der Welt.
Zum Foto: ist leider mittlerweile verschwunden, ein findiger Skurril-Sammler hat es sich damals für einen Hungerlohn unter den Nagel gerissen. Auch das ist Berlin.
Wir machen jetzt ein Gedankenexperiment: Wie würde man also »Juhnke« (falsch) aussprechen? Dschunke. Genau. DSCHUNKE. Und das ist tatsächlich der Name des Restaurants, um das sich diese Besprechung dreht: das älteste China-Restaurant Berlins. Wo? In Schmargendorf.
Wir beginnen hier: Am Busbahnhof Zoologischer Garten. Es war so heiß, dass ich erstmal ein Eis essen musste (CujaMara-Split, 9/10 Punkten). Freund Willi kam zu spät, beziehungsweise genauer gesagt: Ich war zu früh. Er - wie immer - pünktlich. Stinksauer begrüßte ich ihn: »Hi, Willi.« Ein anderer hatte es eiliger: Es war der Busfahrer, der uns jetzt wie eine gestochene Tarantel durch Westberlin bugsierte. Busgenuß pur (4/10). Was alles im Bus geschah, sprengt leider den Rahmen, da kein Gastro-Content. Erinnerung an mich selbst.
Gegenüber des (Triggerwarnung) Horror-Restaurants liegt ein guter Friedhof, auf dem u.a. die erste deutsche Fliegerin Melli Beese begraben ist. Am 21. Dezember 1925 erschoss sie sich, nachdem sie die Worte »Fliegen ist notwendig. Leben nicht« auf einen Zettel geschrieben hatte (Wikipedia). Heute ein Ehrengrab. Wie schön man sich auf einem Friedhof verlieren kann.
Schade, dass wir ja eigentlich essen gehen wollten. Wir strollten also weiter die Flaniermeile entlang. Fremd in der eigenen Stadt, dem kulinarischen Untergang 2017 entgegen - übertrieben gesagt. Zwei schöne Läden vielleicht noch: Ein Zeitungs-Kiosk heißt zum Beispiel »Wein und Presse«, was lustig ist, weil Wein ja auch gepresst wird. Und was uns den Atem raubte: Ein Obst- und Gemüsetürke, der für zehn Euro drei Kilo Beelitzer Spargel anbot. Wir dachten, unser Sehnerv spinnt! Es war aber wirklich so, also kauften wir jeweils drei Kilo, insgesamt also sechs Kilo Spargel, auf zwei Rucksäcke verteilt.
So betraten wir das Traditionsrestaurant Dschunke, voll beladen. Kurze Abschweifung: Sechs Kilo Spargel wurden später am Abend zu Hause geschält und eingefroren, drei Kilo im Ganzen, Willi indes schnippelte seine Kilos in mundgerechte Pfannengemüse-Stücke. Anders, sagt er, könne man Spargel nicht essen. Die eingefrorenen Stücke sollten uns im Laufe des Abends noch wahre Wunder beweisen: als Spargeleiswürfel nämlich im Weißwein. Eine kulinarische Offenbarung der Extraklasse. 10/10. Superwow.
So langsam bekamen wir also Durst! Hunger eher weniger, weil es wirklich super-hot war, aber irgendwas muss man sich ja jeden Tag »ins Maul reinfressen« (Michael Ziegelwagner). Drinnen im Dschunke war es insgesamt eher leer, ein Mann, Typ Martin Walser, trank während unseres Aufenthaltes drei Glas Weißwein (0,2) und einen Hausschnaps (10/10). Dies tranken wir: Apfelsaftschorle groß - wurde allerdings mit Leitungswasser gemischt (0/10). Hier bin ich streng. Total in Ordnung, weil trinkbar, eine Schorle jedoch sollte spritzen! (Erhobener Zeigefinger off) Kanne Jasmintee, wahrscheinlich auch schon wieder mit Leitungswasser zubereitet = Super-Love! Kanne Grüntee, einwandfrei. (Im Sommer unbedingt Heißes trinken! Der Körper dankt es angeblich. Ob man im Winter dafür Eistee trinken sollte? Ja. Körper knows best. Best Körper in town.)
Eine Dschunke ist ein altes chinesisches Schiff. Eine galeerenartige Illustration prangt auf den Servietten. Eine gallertartige Masse wird als Nr. 21 verkauft. Pfui Deibel! Die Servietten waren wirklich mit Abstand das Geschmackvollste in dem Laden.
Jetzt kommt aber leider das Allerschlimmste: das Essen. Im Nachhinein wird es mir, ich lüge nicht, schwindelig, wenn ich daran denke. Vielleicht erstmal mit dem Erfreulichen anfangen, nämlich damit, was es NICHT gab: »Spargel chinesisch gebraten« - stolz auf der Tageskarte angeboten, doch auf Nachfrage stellte sich heraus, dass es keinen Spargel mehr gibt, die Spargelsaison sei ja schon vorbei! Willi und ich sahen uns an, als ob wir jeder nicht jeweils drei Kilo Astrein-Spargel im Gepäck hätten.
Es gab also zwei Essen, ein vegetarisches Chop Suey und ein Schweinefleischexperiment. Hier verschwimmen leider die Erinnerungen, nennen wir die beiden Gerichte im folgenden einfach Nummer 18 und Nummer 21. Nummer 18 (Elias) war also das Gemüseding, man muss sich dazu vielleicht einen alten Topf vorstellen, in dem vor einiger Zeit eine nicht geringe Menge Öl eingelassen wurde, dann tausend Jahre heißgemacht, irgendwann Schnippelgemüse dazu, fertig! Aus diesem Topf wird dann also jedesmal geschöpft, wenn jemand Nummer 18 bestellt. Bin froh, dass ich noch da bin. Jetzt zum Schweineding (Willi) (»Der Arme!« (Marcus Rattelschneck)): Man hat ja als Kind gerne mal Gummibärchen über Nacht in Leitungswasser eingelegt, einfach nur, um zu schauen, wie das am nächsten Tag aussieht. Nun, genau so sah der Schweineteller von der Konsistenz her aus. Geschmack: Salz. Maggi. Und Salz.
Ein Muss: die Toiletten im Untergeschoss. Man erreicht sie über eine Wendeltreppe, wie sie enger nicht sein kann. Übertrieben gesagt handelt es sich um eine Sexy-Dance-Stange, wie sie auch im Feuerwehr-Milieu benutzt wird, wenn es mal brennt. HOT! Unten angekommen befinden sich die 70er Jahre. Condition: Mint. Hier könnte Juergen Teller Fotos machen (10/10).
Bodenlos: Am Ende wurden wir von der Kellnerin gefragt, wie/ob es uns geschmeckt hat. Die Ausrufe- und Fragezeichen in unseren Köpfen sind bis heute preisverdächtig. Gesagt haben wir jedenfalls, dass es ungenießbar war. Überwürzt, Alt-Gemüse, everything. Kopfschüttelnd verließ daraufhin die Frech-Bös-Kellnerin den Tisch. Als nächstes kam dann die Rechnung. Und zwar ohne Martin-Walser-Schnaps.
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