Im Spiegel dem Selbst begegnen
23. Sommerschau »Rohkunstbau« im Schloss Lieberose
Von Anita Wünschmann
Lebensgroße Ritter, nein, nicht aus Bronze sondern aus Aluminiumfolie stehen in der Bibliothek des Schlosses Lieberose. Der Japaner Tosjihito Mitsuya aus Japan verbindet auf diese Weise europäische und japanische Rittermythen. Mit einem Spiegelsaal, der irritiert, weil nicht die Wände, sondern der Boden verspiegelt ist, schickt die Künstlerin Amélie Grötzinger die Besucher aufs »Parkett« des einstigen Ballsaals. Eine verkehrte Welt. Alles anders als gedacht. Hängende Puppen aus Makramee mit Köpfen aus Wasserkanistern - die »Imaginary Friends«, Trostfiguren, Schicksalsfiguren, von Jeanno Gaussi aus Afghanistan. Der Putz an den Wänden bröckelt. Stuck erzählt von glanzvollen Zeiten und eine illustre Figurengruppe im Herrensalon ist offenbar der Mottenkiste der Geschichte entsprungen samt kolonialer Mitbringsel, zu denen auch ein (freilich nicht echter) Schrumpfkopf auf dem Kaminsims sowie ein Glas Spreewälder Gurken gehören. Ein makaberes Fest fröhlicher Urständ »The Royal Palace of Amperor Andrew and his glorious Cabinet«, im königlichen Palast des Eroberers Andrew von Andrew Gilbert aus Schottland inszeniert.
Seit 1994 zieht die vom Mediziner Arvid Boellert gegründete Kunstinitiative »Rohkunstbau« ins Land Brandenburg. »Immigration und Nationalismus, die Angst vor dem Fremden« sind die Themen der diesjährigen dreiundzwanzigsten Kunstschau. Elf Internationale Künstler, zumeist mit besonderem Berlin-Bezug, zeigen ihre Werke im Schloss Lieberose.
Die fast schon legendäre Kunstausstellung fand in den ersten fünf Jahren in einer LPG-Betonhalle statt, die noch 1989 für die Arbeiterfestspiele in Groß Leuthen im Spreewald ausgebaut werden sollte und zog dann weiter ins Wasserschloss am selben Ort. Kunst und Ort gingen eine besondere Symbiose ein. Die »lost places«, Schlösser und Herrensitze in Brandenburg, wurden zum Markenzeichen von »Rohkunstbau«. Nicht der White Cube zieht die Menschen so sehr an wie die ungewöhnlichen Räume, die gerade mit ihren vielfältigen Dimensionen für Skulptur und Performances, für Malerei und Installationen so überraschend sind, sagt Inka Thunecke, Direktorin der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg und Mitveranstalter der mehrmonatigen Kunstschau, zu der auch ein Filmprogramm gehört. Diesmal wurde das Barockschloss Lieberose, derzeit im Besitz der Brandenburgischen Schlösser GmbH ausgewählt. Bis 1945 lebten hier die von Schulenburgs; Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg war ein hochrangiger Wehrmachtsoffizier und wurde 1944 als Mitglied des Hitlerwiderstandes des 20. Juli in Plötzensee hingerichtet. Die einstige Ackerbürgerstadt Lieberose bildet mit ihrer Umgebung einen Ort dramatischer Geschichte - KZ, Todesmarsch, größter SS-Truppenübungsplatz. Gedenkstätten. Nachnutzungen. Fakten, Ereignisse, Deutungsspektren.
Der Brite Mark Gisbourne (geboren 1948, lebt in Berlin und London) kuratiert die thematisch ambitionierten (»Revolution«, »Macht«) und meist in Themenblöcken arrangierten Ausstellungen und prägt ihren Charakter als Laboratorien für widerstreitende Gefühlszustände und Wahrnehmungen. Auf welche Weise können, so wird an der UdK, der Universität der Künste, in Berlin in einer Untersuchung gefragt, die »spekulativen Verfahren der Kunst« Wissen freilegen? Darum geht es auch, wenn man im ruinösen Schloss die Räume betritt. Mit unsicherem Tritt tastet sich der Besucher durch den eleganten Diana-Saal. Dieser gibt dem Ausstellungs-Thema »Der Spiegel der Anderen - Mirror of Alternity« eine irritierende Vexierperspektive.
»Die diesjährige Ausstellung«, so steht es im Katalog, »sucht nach einem differenzierten Blick auf die vielen Nuancen von Differenz und Andersheit«. Als Ausgangspunkt diene dabei die Perspektive des Spiegels. Gleich zu Beginn konfrontiert die Portugiesin Tatjana Macedo mit einer Leucht-röhreninstallation »I`ve never seen a refugees camp« die Besucher mit ihrer Bereitschaft sich konkreter gesellschaftlicher Realität zu stellen.
Bis 10. September, Schloss Lieberose; www.rohkunstbau.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.