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Wirtschaftsministerium entdeckt die Lohnschere

Bericht über ein Papier im Zypries-Ressort: Ungleichheit auf historisch hohem Niveau / Passend zum Wahlkampf: Machnig fordert Umdenken

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Im Wahlkampf scheint nun auch das Bundeswirtschaftsministerium das anhaltende Problem der grassierenden Lohnungleichheit entdeckt zu haben. »Deutschland hat (nach wie vor) ein Lohnproblem«, wird da von der »Süddeutschen Zeitung« aus einem internen Faktenblatt des SPD-geführten Ministeriums zitiert. Es gebe Handlungsbedarf, die Lohnungleichheit sei auf einem historisch hohen Niveau.

Die Zeitung zitiert dazu Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig, der ein Umdenken fordert. Die Entwicklung bedeute, dass ein Großteil »unserer Bevölkerung nicht mehr vorankommt«, sagte er. »Den Kindern geht es auf einmal schlechter als ihren Eltern.« Spielräume für bessere Löhne seien vorhanden und »sie sollten genutzt werden«, so Machnig. Vor allem die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen hätten vom Wirtschaftswachstum zu lange nicht profitiert.

In dem Papier des Ministeriums heißt es: »Im Jahr 2015 waren die realen Bruttolöhne der unteren 40 Prozent zum Teil deutlich niedriger als 1995.« Ein großer Teil der Bevölkerung habe damit heutzutage weniger Kaufkraft als vor 20 Jahren. Dagegen hätten die oberen 60 Prozent teils ausgeprägte Zuwächse verbucht: »Die Schere bei den Löhnen ging also deutlich auseinander.« Zwar seien die Reallöhne seit 2013 in Deutschland mit einem Plus von 1,8 Prozent wieder deutlich gestiegen. Doch bestehe »weiterhin Nachholbedarf für Lohnsteigerungen«.

»Damit schaltet sich auch das Wirtschaftsministerium in den Wahlkampf und die Debatte um eine gerechtere Einkommensverteilung ein«, schreibt die »Süddeutsche« - man kann es auch anders formulieren: Warum wird auf einen lange bekannten Missstand erst wenige Wochen vor der Wahl medienwirksam aufmerksam gemacht und eine Änderung eingefordert?

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW hatte zum Beispiel bereits im Januar dieses Jahres auf die Einkommensungleichheit hingewiesen. Eine Analyse der Löhne und Gehälter über den langen Zeitraum von 1991 bis 2014 zeige, dass die mittleren Einkommen zwar um mehr als acht Prozent gestiegen sind, die höchsten Einkommen sogar um bis zu 26 Prozent - die unteren Einkommen seien aber real zurück gegangen.

»Folglich hat die Einkommensungleichheit insgesamt zugenommen – insbesondere in der ersten Hälfte der 1990er Jahre, in den Jahren von 1999 bis 2005 sowie in der Zeit ab 2009«, so die Berliner Forscher. »Vor allem die Haushalte ganz am Ende der Einkommensskala mussten im Vergleich zum Jahr 1991 in realer Sicht – also unter Berücksichtigung der Inflation – einen Einkommensverlust von acht Prozent hinnehmen.« Auch Gewerkschaften und die linke Opposition hatten auch schon zuvor immer wieder auf diese Entwicklung kritisch hingewiesen.

Mit dem Hinweis auf die Spielräume für höhere Löhne stimmt das Ministerium auch in den Chor derer ein, die ein stärkeres Anziehen der Einkommen aus konjunkturellen und geldpolitischen Gründen wünschen. Von der Europäischen Zentralbank über die Bundesbank bis zu Wirtschaftsforschern wurde zuletzt Unzufriedenheit mit der Lohnentwicklung geäußert. Zwar stiegen die Einkommen in den vergangenen Jahren im Schnitt an, aber wegen der leicht anziehenden Inflation bleibt davon real weniger übrig. Außerdem ist die Entwicklung sehr unterschiedlich - gerade Niedriglöhner und Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Bereichen haben kaum mehr in der Tasche.

Machnig sagt nun: »Zu vielen Menschen in unserem wohlhabenden Land geht es noch nicht so gut, wie es ihnen gehen sollte.« Damit ist die Frage der Primärverteilung aufgeworfen. Dass die Lohnhöhe nicht deutlicher zunimmt, obwohl die Arbeitsmarktlage mit geringen Erwerbslosenzahlen eigentlich dafür günstig ist, hat mehrere Ursachen.

Experten wie der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Gustav Horn, verweisen darauf, dass zwar die Erwerbstätigkeit zugenommen hat, nicht aber im gleichen Maße das Arbeitsangebot - in anderen Worten: In der guten Arbeitsmarktlage verstecken sich viel Teilzeitjobs. Zudem gibt es weiterhin viele prekären Beschäftigungsverhältnisse, die in Agenda-Zeiten boomten, seither zwar leicht zurückgehen, aber immer noch einen großen Teil ausmachen. Und nicht zuletzt: Die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften hat abgenommen. Die Tarifbindung liegt im Westen nur noch bei 59 Prozent, im Osten sind es sogar nur 49 Prozent.

Mehr Einkommen würde auch mehr Konsum bedeuten, und auch deshalb nehmen die Rufe nach einer besseren Einkommensentwicklung zu: sie liegt im gesamtwirtschaftlichen Interesse, ist also Beitrag für mehr Wachstum und auch für standortpolitische Belange. Die Bundesbank teilte zu Wochenbeginn mit, der private Konsum könnte »auch im Sommer eine solide Stütze für die Konjunktur bleiben«. Experte Horn äußerte unlängst, mit mehr Konsum könnten die Wirtschaft hierzulande um ein Prozent stärker wachsen als es aktuell der Fall ist. vk mit Agenturen

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