Linke Kritik an Gleichsetzung mit Nazismus
Streit um EU-Konferenz über kommunistische Verbrechen / Griechischer Justizminister sagt Teilnahme ab / GUE-NGL: »Beleidigung der Erinnerung«
Berlin. Eine Konferenz über das Erbe kommunistischer Verbrechen sorgt für Kontroversen auf der europäischen Bühne. Der griechische Justizminister Stavros Kontonis hat eine Teilnahme an der von der estnischer EU-Ratspräsidentschaft organisierten Tagung ausgeschlagen. Die Geschichte des Kommunismus könne »nicht auf das gleichen Niveau wie die Schande des Nazismus gestellt werden«, sagte der Minister in einem griechischen Radiosender. Gerade in Zeiten neuer rechter Gefahren sende eine solche Gleichsetzung »eine falsche und gefährliche politische Botschaft«, zitiert die Zeitung »Kathimerini« aus einem Brief des SYRIZA-Ministers an die die Organisatoren der Konferenz in Tallinn.
Die Tagung ist Teil des von den Esten organisierten Programms zum »Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus«, der 2009 vom Europäischen Parlament ausgerufen worden war und an den Stalin-Hitler-Pakt von 1939 erinnern soll. In Tallinn soll es nun aber vor allem um die Verbrechen der als kommunistisch bezeichneten Staaten gehen, Fragen der Verjährung spielen ebenfalls eine Rolle.
Kritik an der Einseitigkeit kommt auch von der linken GUE/NGL-Fraktion im Europaparlament. In einer Zeit, in der rechte Übergriffe und neonazistische Aktivitäten in Europa zunehmen, sei eine solche Gleichsetzung von Nazismus und Kommunismus »historisch falsch, gefährlich und inakzeptabel«, heißt es in einer Erklärung. Die Tatsache, dass die estnische Regierung den Schwerpunkt auf Verbrechen der einen Seite lege, belege die Absicht, »die Institution der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft für ideologische Zwecke« benutzen zu wollen. Die »historisch und politisch voreingenommene« Tagung solle besser abgesagt werden - sie untergrabe »den politischen Dialog und die Koexistenz in Europa« und sei ist »eine Beleidigung der historischen Erinnerung der Menschen«.
Der EU-Experte Eric Bonse kommentierte den Streit mit den Worten, man könne sich in der Tat fragen, »warum die EU ausgerechnet jetzt über ›kommunistische Verbrechen‹ diskutieren soll. Will Estland auf diese Weise die Reihen gegen Russland schließen?«, schreibt er in seinem Blog. Genauso fragwürdig sei »es aber, das Ganze nun gleich zum Anschlag auf die Nazi-Opfer aufzublasen«.
In Griechenland fällt die Debatte auf den fruchtbaren Boden eines schon älteren Streits um die Geschichte - dabei geht es um Außenminister Nikos Kotzias, der in einer Zeitung als »einer der extremsten, fanatischsten, grausamsten und ruhelosesten Kommunisten seiner Generation, ein echter Gauleiter des Stalinismus« diffamiert worden war und gegen die Verleumdung erfolgreich vor Gericht vorging. Justizminister Kontonis griff dies auf und kritisierte die konservative Opposition, die Reformlinken des Stalinismus zu beschuldigen, was »lächerlich und unhistorisch« sei. nd
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