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»Alternative Wohnformen sind nur was für eine Minderheit«

Wirklich? Aufklärung über die Mythen der Wohnungsdebatte. Teil 11 der nd-Serie »Muss die Miete immer teurer werden?«

  • Andrej Holm
  • Lesedauer: 4 Min.

Der drastische Mietanstieg in vielen Städten sowie Konflikte um Verdrängung haben die Wohnungsfrage zurück in die politischen Debatten und auf die Straße gebracht. Wie in kaum einem anderen Bereich unseres Alltags prallen hier existenzielle soziale Bedürfnisse und ökonomische Interessen einer marktförmig organisierten Wirtschaft aufeinander. Eine soziale Wohnungsversorgung – das zeigen die letzten 150 Jahre der kapitalistischen Urbanisierung – muss fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Wir stellen in dieser Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gängige Behauptungen in den gegenwärtigen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen auf den Prüfstand.

»Geld ist nicht die einzige Hürde, wenn man in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt einsteigen will.« (Reinhardt Huschke)

Wie wird argumentiert?

Obwohl sich alternative Wohnprojekte und Baugruppen in den letzten Jahren einer wachsenden Beliebtheit erfreuen und in Medien und Politik eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, gibt es gerade auch in linken Kreisen immer wieder Kritik an deren Exklusivität. Den eigentumsorientierten Baugruppen, die sich am Modell der sogenannten Bauherrengemeinschaften orientieren, wird vorgeworfen, relativ hohe finanzielle Zugangshürden aufzuweisen und somit nur etwas für wohlhabende Bürgerkinder zu sein. Alternative Wohnprojekte und kollektive Wohn- und Eigentumsformen wie zum Beispiel Genossenschaften zeichneten sich wiederum dadurch aus, dass sie nur bestimmte Milieus von Gleichgesinnten ansprechen würden.

All jenen, die nicht zu der eigenen Subkultur oder favorisierten Zielgruppe zählten oder zumindest deren (Zugangs-)Codes verstünden, blieben solche Projekte in der Regel verschlossen. Somit reproduzierten alternative Wohnformen typische gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen. Insbesondere Wohnungssuchende mit Migrationshintergrund und niedrigen Bildungsabschlüssen hätten dabei das Nachsehen.

Was ist dran?

Tatsächlich haben die meisten Baugruppen und Wohnprojekte zurzeit einen eher exklusiven und manchmal auch ausgrenzenden Charakter. Während Baugruppenprojekte, bei denen sich mehrere bauwillige Haushalte zusammenschließen, um gemeinsam ein Grundstück zu erwerben und darauf Doppel-, Reihen- oder Mehrfamilienhäuser zu errichten, ausreichend Eigenkapital und geregelte Einkommen voraussetzen, sind die meisten kollektiven und selbstverwalteten Wohnprojekte auf eine andere Art und Weise sozial selektiv. Zugehörigkeiten zu bestimmten Szenen sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, viel Zeit in die gemeinsame Planung zu stecken, sind hier die wesentlichen Bedingungen für den Zugang.

Doch beide Formen zeigen grundsätzlich, dass es andere Wege gibt, die Wohnungsversorgung zu organisieren. Die oft von Mittelschichtshaushalten gebildeten Baugruppen demonstrieren, dass eine gemeinsame und bedarfsgerechte Planung von Wohnhäusern prinzipiell funktionieren und im Vergleich zu klassischen Bauträgerprojekten sogar preiswerter sein kann. Die durchschnittlichen Kosten von Baugruppenprojekten liegen bis zu 500 Euro pro Quadratmeter unter den Preisen von kommerziellen Vergleichsprojekten. Ansätze von selbstverwaltetem Wohnen in Kombination mit kollektiven Eigentumsstrukturen, wie sie derzeit bundesweit in etwa 125 Projekten des Mietshäuser Syndikats realisiert werden, belegen darüber hinaus, dass eine andere Ökonomie des Bauens möglich ist.

Mit einem Mix von Mikrokrediten, Selbsthilfeanteilen und Solidarbeiträgen werden Häuser und Grundstücke aus den Verwertungskreisläufen herausgelöst. Die Wohnkosten der meisten Projekte liegen deutlich unter den ortsüblichen Vergleichsmieten und in vielen von ihnen werden solidarische Modelle der Mietgestaltung praktiziert. Auf der Basis von langfristigen Kalkulationen und einem Gewinnverzicht sind so selbst bei Neubauten Mietpreise von 6 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) möglich, wie beispielhaft das Wohnprojekt M29 in Berlin Prenzlauer Berg zeigt.

Die vielfältigen Wohnprojekte und Baugruppen, die es inzwischen in vielen deutschen Städten und Regionen gibt, bieten einen reichen Erfahrungsschatz, der für eine Umgestaltung und Neuausrichtung der herrschenden Wohnungspolitik genutzt werden sollte. Durch ihre Pionierarbeit konnten in den letzten Jahren vielerorts Bedenken und Vorbehalte von Behörden und Finanzpartnern gegenüber nicht gewinnorientierten Ansätzen abgebaut werden. In den meisten Großstädten haben die Stadtverwaltungen inzwischen sogar Beratungsstellen für selbstorganisierte Wohnprojekte eingerichtet. Mit der Professionalisierung und institutionellen Anerkennung wird auch die Zielgruppe solcher Projekte wachsen. Schon jetzt gibt es erste Vorhaben, die bereits in der Planungsphase darauf achten, künftige BewohnerInnen aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu rekrutieren und die Teilnahme am kollektiven Wohnen von Milieuzugehörigkeiten zu entkoppeln.

Modellrechnungen für einen Wohnungsbau unter den Bedingungen einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit zeigen zudem, dass preiswerte Mieten nicht nur in sogenannten Nischenprojekten realisiert werden können. Bei einer Kombination aus Steuererleichterungen, günstigen Pachtverträgen für Grundstücke, Eigenkapitalverzicht für die Zeit der Refinanzierung und zinslosen Darlehen könnten bei gleicher Bauqualität die Mietpreise im Vergleich zu denen in Standardneubauten auf etwa 5 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) halbiert werden.

Fazit

Eine Verknüpfung von gemeinnütziger Ökonomie und selbstverwalteten Wohnstrukturen ist keine utopische Spinnerei, sondern eine machbare und notwendige Alternative zur marktförmigen Organisation des Wohnungsbaus.

Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler und zählt zu den prominetesten Experten eines kritischen Blicks auf Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von ihm ist unter anderem erschienen: »Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert« (bei Knaur, München). Die Serie ist zuerst als Heft Nummer 15 in der Reihe »luxemburg argumente« der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann unter rosalux.de kostenlos heruntergeladen werden.

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