Superarbeit, Superfreizeit, Supersuper
Im Kino: Die Bestsellerverfilmung »The Circle« von James Ponsoldt ist öder Konfektionskitsch
In der modernen, digitalen Arbeits- und »Wissensgesellschaft« kontrolliert und diszipliniert das Individuum, das gar keines mehr ist, freiwillig sich selbst. Und was früher Überwachung hieß, heißt heute Transparenz. Geheimnisse sind Lügen!
»The Circle« von Dave Eggers ist ein vor einigen Jahren erschienener Roman, der zum Bestseller wurde, weil er mit den bescheidenen sprachlichen Mitteln des supersimplen Trivialromans darzustellen versuchte, wie ein Computer-, Internet- und Technologiekonzern, der sich auf seine vermeintliche Fortschrittlichkeit und »Transparenz« und seine entspannte, liberal-moderne Firmenideologie einiges einbildet, sich als sektenähnlich organisierter Totalüberwachungs- und Arschgeigenkonzern entpuppt.
Was läge also näher, als die Verfilmung des Romans zu einem Blockbuster zu formen, der mit den bescheidenen filmischen Mitteln des klassischen Konfektionskitsch- und Erklärbärspielfilms dasselbe darzustellen versucht? Eben: Nichts.
Zum Inhalt: Die junge Mae Holland (Emma Watson), ein recht unbedarftes, rehäugiges weibliches Wesen, das anscheinend beim Zuschauer Beschützerinstinkte wecken soll, darf, auf Vermittlung einer Freundin, die bereits ziemlich weit oben in der dortigen Konzernhierarchie arbeitet, bei ihrem Superlieblingstraumunternehmen »The Circle« arbeiten. Ihre größte Angst, so bekennt die junge Frau bereits beim Vorstellungsgespräch wie aus der Pistole geschossen, bestünde darin, dass in Menschen »nicht ausgeschöpftes Potenzial« verkümmere. Eine sehr gute Antwort, auf die man gewiss auch in der FDP stolz gewesen wäre! Auch dort schätzt man Menschen, die sich primär als auszuschöpfendes Potenzial begreifen. Und unsere weibliche Hauptfigur ist damit gleich hinlänglich charakterisiert: ein in marxistischer Theorie nicht gerade geschultes Modeopfer und Leistungsgirlie, das es nie gelernt hat, die Gesellschaft infragezustellen, und halt nachplappert, was im Internet drinsteht. Ein Mensch wie wir alle also.
Eigentlich ist es auch gar kein klassisches Vorstellungsgespräch. Es handelt sich eher um ein Frage-Antwort-Pingpong, bei dem herausgefunden werden soll, ob die Bewerberin optimal vernutzbar ist und wie geschmeidig man sie zur sich bereitwillig und fröhlich selbst ausbeutenden Unternehmensmagd machen kann.
Mae jedenfalls ist superhappy, wie man heute in ihren Kreisen so sagt: Das Unternehmen »The Circle« ist ein lichtdurchflutetes New-Economy-Monstrum mit supernetten Superkollegen, die wie auf Knopfdruck lächeln und alles supersuper finden. Ist ja alles da: Gesundes Kantinenessen, flache Hierarchien, After-Work-Partys, betriebliche Gesundheitsvorsorge mit Zahnzusatzversicherung. Und täglich steht ein supermoderner Bildschirm mehr an Maes Arbeitsplatz, der bedient werden will. Auch die Work-Life-Balance wird großgeschrieben. Man geht nach Feierabend im Grunde gar nicht mehr nach Hause. Die Superfreizeit, die man nach dem Superarbeitstag hat, verbringt man der Einfachheit halber auf dem supergroßzügigen parkähnlichen Firmengelände, auf dem sich der Konzern 24 Stunden am Tag um die Work-Life-Balance kümmert: Vom kostenlosen Angestelltenapartment über die Kletterwand bis zum Hunde-Yoga ist für alles gesorgt.
Im Laufe der Zeit zeigt sich allerdings, dass der »Circle«, das so moderne, liberale Unternehmen, nach Art einer Sekte funktioniert: Was als Gesundheitsvorsorge daherkommt, dient tatsächlich der Totalerfassung der Körperdaten. Was als »Partizipation«, firmeninterne »Community« und »freiwilliger« sozialer Austausch unter Firmenangehörigen gilt (»It’s all connected«, »It’s just for fun«), entpuppt sich als Gute-Laune-Zwang und Dauerkommunikationsterror, als zum Konzernregime gehörende Strategie, die die permanente Verfügbarkeit der Angestellten und ihre totale Identifikation mit dem Konzern, für den sie arbeiten, sicherstellt. Und was »Transparenz« heißt (»Sharing is Caring«), bedeutet tatsächlich die Abschaffung von jeder Individualität und Privatheit.
Und Mae, als der ebenso stromlinienförmig-eigenschaftslose wie jederzeit anpassungswillige Charakter, als der sie hier erscheint, wandelt sich mit derselben geballten Naivität, mit der sie anfangs den guten »Circle«-Konzern freudig bejahte, nun zur den bösen »Circle«-Konzern durchschauenden und entlarvenden Superfrau.
Als Plot mag das ja vielleicht der einen oder anderen evangelischen Religionslehrerin einigermaßen aktuell und gar sozialkritisch erscheinen. Erstaunlich jedoch ist die Biederkeit und Einfallslosigkeit, mit der die Geschichte abgefilmt wurde. Jede Folge von »Der Bulle von Tölz« kommt einem nach der Betrachtung dieses Films wie ein Werk von Tarantino vor. Für die Filmfiguren gilt, was schon für Eggers’ Romanfiguren galt: Sie reden nicht nur wie eindimensionale Vorabendseriencharaktere, sie sehen auch so aus. Die durchweg brave und hausbackene Ästhetik ist im Wesentlichen die der Vorabendfernsehserie, die »für die ganze Familie« produziert wird: Bloß niemanden verschrecken, bitte nichts allzu Kompliziertes einbauen, keine zu schnelle oder gewagte Kamerafahrt, und immer alles schön chronologisch, langsam und deutlich. Opa und Oma und der Neunjährige sollen den Film schließlich auch verstehen.
Fast könnte man als Zuschauer meinen, man sieht einen speziell für Vorschulkinder, Seniorinnen und Senioren künstlich simplifizierten, um jeden noch so winzigen dramaturgischen Kniff bereinigten und verlangsamten Film, in dem jedes künstliche Lächeln und jeder Nachdenklichkeit und Traurigkeit signalisierende Hundeblick von den Darstellern in übertriebener Weise aufgesetzt wird und aus dem alles, was nicht eindimensional und banal ist und über das man als Zuschauer selbst nachdenken könnte, herausgeschnitten wurde.
Danny Elfman liefert dazu den passenden Soundtrack: ein futuristisch sein wollendes, 80er-Jahre-haftes, Vangelis-artiges Spannungs- und Entspannungspluckern, das den Intellekt stillstellt, verstärkt mit zuckerigen Nachdenklichkeitsstreichern.
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