Von Magdeburg nach Berlin: Drei LINKE versuchen den Wechsel

Wie drei erfahrene Genossen aus Sachsen-Anhalt in den Bundestag einziehen wollen / Politikwissenschaftler: Partei steht bei Wahl vor schwierigem Spagat

  • Simon Ribnitzky
  • Lesedauer: 4 Min.

Magdeburg. Seit 15 Jahren sitzt Eva von Angern für die Linkspartei im Magdeburger Landtag. Jetzt kämpft die 40-jährige Magdeburgerin um ein Bundestagsmandat. »In der Landespolitik doktern wir vor allem an Symptomen herum - mal mehr, mal weniger erfolgreich«, erzählt von Angern, während sie an einem Infostand in der Magdeburger Innenstadt Flyer verteilt. »Die entscheidenden Weichen werden auf der Bundesebene gestellt.« Das gelte vor allem für Themen, um die sie sich schon im Land gekümmert habe: Kampf gegen Kinderarmut, Justiz- und Gleichstellungspolitik.

Dabei war die Kandidatur eigentlich gar nicht geplant. »Ich wurde gefragt - und habe erst mal nein gesagt.« Schließlich habe Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch sie aber doch überzeugt - neben Gregor Gysi wäre von Angern wohl die einzige Juristin in der neuen Fraktion. Rechtspolitik ist im Land seit Langem ihr Fachgebiet.

Von Angern ist eine von gleich drei langjährigen Landespolitikern der LINKEN, die nach dem 24. September nach Berlin wechseln wollen. Auch Matthias Höhn, seit 2012 auch Bundesgeschäftsführer der Partei, und die langjährige Landeschefin Birke Bull-Bischoff wollen ihren Stuhl im Magdeburger Parlament gegen einen im Bundestag tauschen. Auf der Landesliste stehen die drei auf den Plätzen drei, vier und fünf. Bislang sitzen fünf Linkenpolitiker aus Sachsen-Anhalt im Bundestag – bleibt es dabei, könnte allen drei Landespolitikern der Wechsel gelingen.

Erfahrung in der Landespolitik könne auch im Bundestag von Vorteil sein, sagt Bull-Bischoff. Aus ihrer Sicht gilt das gerade auch mit Blick auf die AfD, die laut Umfragen mit dem Einzug ins Parlament rechnen kann. Im Magdeburger Landtag sitzen die Vertreter der Rechtsaußenpartei bereits seit eineinhalb Jahren - und fallen immer wieder durch Provokationen und Beschimpfungen auf. »Ich kenne die Erzählungen der AfD, ihre Argumentationslinien«, erklärt Bull-Bischoff. Das könne bei den zu erwarteten Debatten auf Bundesebene von Vorteil sein. Von Angern ergänzt: »Viele wissen gar nicht, was da auf sie zukommt.«

An einem sonnigen Septembertag verteilt von Angern auf dem Alten Markt in Magdeburg Infomaterial an Passanten. Eine ältere Frau kommt auf die Politikerin zu. »Im Sozialen, da muss viel mehr gemacht werden«, klagt sie ihr Leid. »Wir geben uns ganz doll Mühe«, entgegnet von Angern und führt ein mehrere Minuten dauerndes Gespräch über die Situation in der Pflege. Zuhören, Erklären, ins Gespräch kommen – mit scheinbar endloser Energie wirbelt die 40-Jährige um den Stand herum. »Manche wollen auch einfach nur einen Kugelschreiber mitnehmen«, sagt von Angern und lacht. »Das ist okay, ist doch schön, wenn man auch mithilfe eines Kugelschreibers über linke Politik reden kann.«

Bull-Bischoff setzt auch auf den Haustürwahlkampf. »Ich wollte das unbedingt mal ausprobieren«, sagt die 53-Jährige. In mehreren Gemeinden im Süden des Landes ist sie bereits von Tür zu Tür gezogen. Die Erfahrungen? »Alles dabei – vom fröhlichen Schwatz über Gott und die Welt über die große Politik bis zur älteren Frau, die einfach froh war, dass ihr mal jemand zuhört.« Einmal sei sie aber auch vom Hof gejagt worden. »Das muss man aushalten, das gehört dazu.«

Haustürwahlkampf sei ihr wichtig, weil sie dadurch an andere Menschen herankomme, sagt Bull-Bischoff. Leute in Gewerkschaften, Sportvereinen oder bei der Feuerwehr zu erreichen, sei relativ leicht. »Aber an die Leute, die einfach ganz privat ihr Leben leben, da kommt man nur schwer ran.« Ob sich diese Form des Wahlkampfes tatsächlich lohne, komme auf die Perspektive an. »Es hilft auf jeden Fall, ein Gespür dafür zu bekommen, was die Leute bewegt.« Ob wirklich Wählerstimmen herausspringen, sei fraglich – schon allein wegen der insgesamt überschaubaren Zahl der geführten Gespräche.

Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Thomas Kliche steht die LINKE in Sachsen-Anhalt vor einem schwierigen Spagat. Einerseits gelte es, ältere Wähler bei der Stange zu halten, die vor allem Wert auf Stabilität legten, sagt der Forscher von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Andererseits müsse man sich auch als progressive linke Kraft präsentieren, um neue junge Wähler anzusprechen. Der Erfolg bei der Bundestagswahl werde wesentlich davon abhängen, ob dieser Spagat gelinge. dpa/nd

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