Jan van Aken kämpft außerparlamentarisch weiter
Der LINKE-Abgeordnete gehört dem neuen Bundestag nicht wieder an - einige trauern ihm jetzt schon nach
»Schade«, ruft jemand im Publikum. Jan van Aken lächelt gewinnend. Wie immer, wenn er jetzt im Wahlkampf auftritt, erlebt er dieses Bedauern. Der Grund: Er scheidet nach der Wahl am 24. September aus dem Bundestag aus. Hier im Kreisverband Lichtenberg der Berliner LINKEN ist man unter sich. Doch auch auf Veranstaltungen mit gemischter, nicht parteiinterner Besucherschaft widerfährt ihm das. »Schade um den Mann«, lautet das Urteil, wenn die Rede auf ihn und die Bundestagswahl kommt. Und gemeint ist eigentlich »schade um die Partei«. Die nun ohne van Aken auskommen muss. »Das stimmt nicht«, sagt der Hamburger bei solcher Gelegenheit dann. »Ich bin Mitglied im Parteivorstand und will das auch bleiben.« Die Partei, das soll es wohl auch bedeuten, war nicht nur eine Episode in seinem politischen Leben, womöglich gar Mittel zum Zweck.
Der Bundestag scheint ihm überhaupt kein Zweck, dem man sein Leben unterordnet. Beinahe ungläubig hören ihm die Leute zu, wenn er beteuert, dass ihm das nichts ausmache. Nicht länger als zwei Wahlperioden Abgeordneter bleiben - das sollten am besten alle so halten, meint er locker. Abgeordneter zu sein, mache nur abhängig. Da ist sicher etwas dran. Es ist schwer, sich von dem Eindruck der eigenen Wichtigkeit nicht korrumpieren zu lassen.
Früher zählte das Innenleben von Parteien jedenfalls nicht zu van Akens bevorzugten Interessensfeldern. Das hat sich offenbar geändert. Ganz als einer der Ihren präsentiert er sich den Lichtenberger Genossen im DDR-Plattenbaugebiet Hohenschönhausen. Ganz zugewandt, der Wessi aus Hamburg.
Gregor Gysi ist ein gekonnter Erklärer, ein witziger Fabulierer und Alleinunterhalter, Sahra Wagenknecht ist eine durchtrainierte Geistessportlerin in den politischen Disziplinen, Jan van Aken ist ein großer Junge. Ein Kerl von 1,96 Metern, der freundlich nickt, wenn er in einer Debatte in die Ecke gedrängt scheint. Die Sympathien fliegen ihm zu, mit einem Schuss Zweifel: Hoffentlich vergeigt er es nicht.
Van Aken vergeigt es nie. Der 56-Jährige weiß genau, was er tut. Und was zu sagen ist, um überzeugend zu sein. Er scheint die Zweifel genüsslich selbst zu schüren. Sogar an sich selbst. »Ich bin ja eigentlich kein Politiker, ich bin Biologe«, sagt er dann gern. So, als sei er sich seiner Sache nicht hundertprozentig sicher. Doch Jan van Aken ist sich seiner Sache sicher. Er ist Politiker, durch und durch. Gysi, Wagenknecht, van Aken - alle drei sind sie Profis, nur dass man es van Aken nicht gleich anmerkt.
Im Hohenschönhauser Freizeittreff geht es um die große Politik. Was man gegen die Globalisierung des Krieges tun kann, wollen sie von ihm wissen. Deutsche Waffenexporte hat van Aken im Bundestag zu seinem bevorzugten Gebiet gemacht. In Syrien stieß er beim Besuch kurdischer Einheiten auf das Abschussrohr einer MILAN-Rakete, die zur Hälfte in Deutschland produziert wird. »Damit haben die Menschenfeinde vom sogenannten Islamischen Staat gekämpft. Mit deutschen Waffen in Syrien.« Van Aken machte eine große Schlagzeile aus seiner Entdeckung.
»Er hätte sich überhaupt nicht vorstellen können«, wie militarisiert das Denken im Bundestag außer bei der LINKEN sei, sagt er nun in die Runde. Wenn es um Konflikte in der Welt geht, komme immer sofort die Bundeswehr ins Spiel. »Ist die denn nicht längst überfordert mit ihren Einsätzen?«, fragt jemand. »Das hat Ursula von der Leyen wirklich geschickt gemacht«, antwortet er. Drei Jahre habe sie die Bundeswehr schlechtgeredet und damit erreicht, was sie wollte. Binnen fünf Jahren werde der Rüstungsetat um zehn Milliarden Euro erhöht. 14 Auslandseinsätze - und die Bundeswehr funktioniert immer noch.
Jan van Aken weiß durchaus zu schätzen, welche Möglichkeiten ihm die letzten acht Jahre verschafften. »Total positiv überrascht« war er von der Diskursmacht, der öffentlichen Aufmerksamkeit, die man als Abgeordneter hat. Zuvor war van Aken bei Greenpeace aktiv gewesen, kannte die Welt der außerparlamentarischen politischen Arbeit als Demonstrant, von Bord eines Schlauchbootes, auch UNO-Inspekteur für biologische Waffen war er schon. Nichts hat der 56-Jährige wirklich lange gemacht. Aber alles so, dass man sich an ihn erinnert. Im Bundestag hat er jede seiner Reden wie der berühmte römische Senator Cato beendet: Ceterum censeo... »Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.« Van Aken war »im Übrigen der Meinung, dass Deutschland keine Waffen exportieren sollte.«
Man wird sich an ihn erinnern. Im März 2015 löste er einen Tumult aus, da ging es um die Immunität seiner bayerischen Fraktionsgenossin Nicole Gohlke. Die sollte ihr entzogen werden, weil sie auf einer Demonstration eine PKK-Fahne gezeigt hatte. Van Aken hielt plötzlich ein Bild mit ebendieser Flagge hoch und erklärte, diese Anklage verstehe er überhaupt nicht. Selbst Unionsfraktionschef Volker Kauder habe öffentlich darüber nachgedacht, ob die PKK überhaupt verboten bleiben sollte, da sie doch inzwischen ein Bündnispartner gegen den IS sei. Einen Ordnungsruf der Präsidentin hat er dafür kassiert.
Mit Sigmar Gabriel lieferte er sich einen Zweikampf von Rede und Widerrede und erneuter Widerrede, als er ihn wegen des Panzerexports an Katar kritisierte. Geistig Florettfechten nennt van Aken so etwas. Gabriel war gut, aber sein Kontrahent wurde in der linken Internetgemeinde als Sieger des Duells bejubelt. 2012 warf van Aken dem Berliner FDP-Politiker Martin Lindner vom Rednerpult aus vor, ein Macho zu sein. Er finde es unerträglich, dass Lindner jedes Mal, wenn eine Frau rede, arrogante Zwischenrufe mache und sich die Eier kraule. Van Aken entschuldigte sich gleich danach beim Präsidium. »Wofür?«, fragte die Präsidentin. »Für den Macho?« Van Aken: »Für die Eier.«
»Die Welt verändern und Spaß dabei haben.« Das ist noch so ein Lieblingssatz von ihm. Wer so etwas verkündet, wirkt größenwahnsinnig oder hoffnungslos naiv. Jan van Aken ist beides nicht. Allerdings halten Weltveränderung und Spaß sich nicht immer die Waage. Ein Höhepunkt seines Bundestags-Politikerlebens nahte erst ganz am Ende seiner Abgeordnetenzeit. Als einer der Organisatoren der Proteste gegen den G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg stand er wochenlang im Zentrum des öffentlichen Interesses. Und zugleich des öffentlichen Misstrauens. Er war Anmelder der mit 76 000 Teilnehmern größten Demonstration in den drei Tagen. »Der Erfolg gibt uns Recht«, fasst er die monatelange Vorarbeit zusammen. Alle Absprachen unter den Teilnehmern wurden eingehalten. »Von uns sollte kein Ärger ausgehen, von uns ging kein Ärger aus.« Auch von den Autonomen nicht.
Das politische Minenfeld offenbarte sich in den Krawallen am Ende des Gipfels, als Randalierer ganze Straßenzüge des Schanzenviertels verwüsteten. Jan van Aken blieb in Interviews und hitzigsten Fernsehdebatten dabei: Die Polizei habe auf die Zuspitzung hingearbeitet. Und die Öffentlichkeit erhielt am Ende jene Bilder, die ihr schon seit Wochen prophezeit worden waren. Auch, als der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach mitten in der TV-Sendung von Sandra Maischberger die Runde überstürzt verließ, weil er die Polizei in Hamburg als Opfer linker Chaoten ansah, blieb van Aken dabei: Die Konfrontation hätte vermieden werden können. Wenn der Hamburger Senat es gewollt hätte.
Er hat es schon früh verkündet, jetzt hält er sich dran: Nach acht Jahren scheidet er aus dem Bundestag aus. Auch Angebote hat er schon, zum Beispiel Gutachten für die Luxemburg-Stiftung wären eine Möglichkeit oder wieder für Greenpeace. Das wird schon, darüber mache er sich keine Sorgen, sagt er. Zwischendurch allerdings gab es einen Moment, da schien er seine Meinung über den Parlamentsausstieg geändert zu haben. Gerade zwei Jahre ist es her, dass er gemeinsam mit seiner Thüringer Kollegin Martina Renner den Hut in den Ring warf. Fraktionschef Gregor Gysi hatte seinen Rücktritt angekündigt. Es ging um den neuen Vorsitz. Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die Repräsentanten der Flügel aus Parteilinken und von Reformern, galten als gesetzt. Da tauchte plötzlich Konkurrenz auf - Renner und van Aken.
Es war noch nicht so lange her gewesen, dass Gregor Gysi auf einem Bundesparteitag 2012 von Hass in der Fraktion sprach. Dass eine Trennung besser wäre als die Fortsetzung einer so zerrütteten Ehe, sagte er in seiner emotionalen Rede. Immerhin: Diese Zeit schien nun gerade überwunden. Seit der Bundestagswahl von 2013 belauerte man sich allenfalls im Untergrund. Wagenknecht und Bartsch demonstrierten inzwischen über gemeinsame Strategiepapiere den Willen zum Zusammengehen.
Van Aken und Renner sprechen allerdings eher einer seither erstarkten, dritten Gruppe zwischen den Flügeln das Verdienst zu, in den Jahren 2011 bis 2013 für eine neue Harmonie in der Fraktion gesorgt zu haben. Dank ihrer numerischen Mehrheit und dem Willen, sich nicht von den Zerwürfnissen der Flügel vereinnahmen zu lassen, sei dies gelungen. In den Medien wurde von der Gruppe als »Mittelerde« gesprochen - in Anlehnung an J. R. R. Tolkiens Fantasiewelt, weshalb van Aken den Vergleich nicht besonders mag. Sie hatte sich formiert als Kraft des Ausgleichs, im Bekenntnis zu parlamentarischer Arbeit statt politischer Ränke. Mit sehr realem Erfolg, wie er bis heute meint.
Einen Moment lang galten also die Abschiedspläne nicht mehr, heißt das. Ein ernsthaftes Angebot musste über diese Wahlperiode hinausgehen, die zu diesem Zeitpunkt ja nur noch zwei Jahre dauerte. Es habe sich um ein Angebot gehandelt, schränkt er ein. Sozusagen der Plan B, falls es mit der Fraktionsspitze aus Wagenknecht und Bartsch nichts geworden wäre. Am Ende sei er froh gewesen, dass er nicht ran musste und seinem Plan treu bleiben konnte, nach acht Jahren auszuscheiden.
Die Lichtenberger Genossen im Hohenschönhausener Freizeittreff grübeln, wie man die Politik zwingen könne, die Bundeswehr so einzusetzen, wie es im Grundgesetz steht. Nur zu Verteidigungszwecken, auf dem eigenen Territorium. »Ich bin ja kein Jurist, sondern Biologe«, sagt Jan van Aken. Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja leider festgestellt, dass die Auslandseinsätze kein Verstoß gegen das Grundgesetz sind. »Ich finde das falsch«, sagt er. Aber daran wird sich erst etwas ändern, wenn die Friedensbewegung wieder stark genug ist. Dies zu befördern, ist ihm in acht Jahren Bundestag nicht gelungen. Die Lichtenberger Genossen teilen sein Bedauern. Auch deshalb, weil die Aufgabe nun an ihnen hängenbleibt. Mit jemandem wie van Aken an der Seite kämpft es sich einfach besser.
Über die Wahl wird viel gesprochen - das allein ändert noch nicht die Verhältnisse. Wir schlagen im Wahlkampf eine Schneise in die Schwafelei. Lesen Sie mit auf unserer Spezialseite zur Bundestagswahl 2017
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