Abkehr und Versöhnung

Deborah Feldman schreibt in «Überbitten» über ihre Herkunft von den Satmarer Juden

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 3 Min.

Überbitten«: ein altes, ungebräuchliches Wort, das aber als jiddisches »iberbeten« bei den chassidischen Satmarer Juden, unter denen Deborah Feldman aufgewachsen ist, noch heute im Gebrauch ist. Vergeben sich die Menschen ihre Sünden untereinander, so glaubt die im New Yorker Stadtteil Williamsburg lebende Gemeinschaft, dann vergibt auch Gott dem Menschen seine Sünden ihm gegenüber.

Die Satmarer Juden gehen deswegen zu denen, von denen sie meinen, dass sie gegen sie gesündigt haben und »iberbeten« sie. Und sie wissen, dass die anderen dann zum Vergeben verpflichtet sind.

»Überbitten« ist also ein Begriff der Versöhnung, auch dann, wenn Versöhnung unmöglich erscheint. Für Deborah Feldman ist es der Versuch der Versöhnung mit ihrer Vergangenheit unter den Satmarer Juden, aus deren abgeriegelter Welt sie im Alter von 23 Jahren geflohen ist. Was nicht einfach war, denn es handelt sich um eine misogyne Sekte, in der Frauen nur eine religiöse Schulausbildung bekommen, auf Kinderkriegen und Kochen reduziert werden und ihr Haar niemandem außer ihrem Ehemann zeigen dürfen.

Aber bereits »Unorthodox« war ja kein unversöhnliches Buch gewesen. Deborah Feldman hatte darin ihre Kindheit beschrieben und die religiösen Radikalität der Satmarer Juden zu verstehen versucht. Deren fundamentalistische Religiosität ist, so Feldman, Folge eines Traumas. Weil die Juden sich assimiliert haben, so glauben sie, wurden sie von Gott mit dem Holocaust bestraft. Nur wenn sie sich an noch strengere religiöse Regeln halten, könne ein neuerlicher Holocaust vermieden werden. Eine Erklärung, die nichts daran ändert, dass Feldman die archaische Lebensweise der Chassiden ablehnt und die liberale amerikanische Gesellschaft dafür kritisiert, dass sie eine solch frauenfeindliche Religion toleriert.

»Überbitten« beginnt dort, wo »Unorthodox« endet, mit der Zeit, in der Deborah Feldman beschloss, aus der Sekte zu fliehen. Sie erzählt von der aufwendigen Planung der Flucht. Und sie beschreibt die Jahre, die sie in New York bleiben musste, weil sie wegen des geteilten Sorgerechts für ihren Sohn immer mit dem Vater, der in Williamsburg geblieben war, über einen Wohnort einigen musste. Lange lebte sie in der Angst, dass die Flucht scheitern würde, insbesondere als ihr das Geld ausging. Erst als »Unorthodox« zum Bestseller wurde, ändert sich das. Deborah Feldman beginnt, auf den Spuren ihrer Großeltern nach Europa zu reisen, wo sie feststellt, dass die USA ihr aufgrund ihrer Lebensgeschichte eigentlich fremd sind. Und sie erzählt, wie sie am Ende den Wunsch hat, nach Berlin zu ziehen, wo sie seit 2014 mit ihrem Sohn lebt. Wie »Unorthodox« ist »Überbitten« eine Mischung aus spannender autobiografischer Erzählung und kluger Reflexion des Erlebten und Erfahrenen. Es geht um den Bruch mit dem Ursprung der Familie, den jeder - wenn auch nicht so extrem - kennt.

Aber es geht auch um das »Überbitten«, die Versöhnung mit diesem Ursprung. »Es dauerte eine Weile«, schreibt Deborah Feldman zu Beginn, »bis ich verstand, dass jegliches Abhacken vom Wurzelballen mit dem Ziel, diejenigen Teile meiner Identität abzusondern, von denen ich mich befreien wollte, mehr Schaden anrichtete, als Gutes bewirkte.«

Deborah Feldman: Überbitten. Aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska. Autobiographische Erzählung. Verlag Secession, 704 S., geb., 28 €.

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